“In der Infomail stand ja noch Cup-System, aber wir machen jetzt 4-4-2,” sagt der Slam-Moderator als er das Line-Up begrüßt. “Aber mit fränkischem Format, und Lucky Loser, und dann Dreier-Finale. Hamburger System in der Länge.” Alle nicken.
Bitte was?
Poetry Slam Leute haben’s ja bekanntlich mit Worten, aber wenn du zum ersten Mal jemanden über das Format – oder den “Modus” – des Abends reden hörst, dann verlierst du wahrscheinlich ein bisschen den Glauben an Spoken Word. Ganz schön viel Fachgesimpel. Keine Sorge, das geht nicht nur dir so.
Also, was hat es mit all diesem Quatsch auf sich? Was bedeuten all diese wirren Worte?
Und viel wichtiger: was hält eigentlich Ortwin davon?
Im Grunde geht es beim “Modus” immer darum: Wie viele Leute treten wann an? Wann wird abgestimmt? Und wie viele kommen ins Finale? Wohlgemerkt: Das ist erstmal was anderes als die Abstimmungsmethoden. Hier geht’s nicht darum: Wie wird entschieden, wer weiterkommt? Sondern eben: Wer tritt wann auf.
Halt dich fest, hier kommen die wichtigsten “Modusse”, die sich unterbeschäftigte Poetry Slam Veranstalter ausgedacht haben, um den Wettbewerb fairer, spannender oder auch einfach nur komplizierter zu machen:
Alles am Stück
Classic Modus: ALle in einem Rutsch
Das ganze Lineup in einem durch, die besten im Finale. Also zum Beispiel: 8 Leute, die besten 2 insgesamt im Finale. Das Problem dabei: Weil’s sonst zu lang wird, unterbricht man meist mit einer Pause. Spätestens danach fehlt der Jury der Vergleich, und sie steigen im Verlauf des Abends immer weiter an. Dramaturgisch wirkt es auch manchmal ein bisschen “lang”. Deshalb findet sich das nur noch selten.
Ortwin sagt:
“Mega, wenn man in der ersten Hälfte auftritt, kann man direkt wieder ins Bett! Kommen eh immer die letzten drei weiter.”
Eurovision-Prinzip
Wird manchmal bei den Europameisterschaften verwendet, weil es einfach so viele Auftretende sind. Im Grunde ist es das Classic-Prinzip ohne Finale. Alle treten auf, es wird gewertet, dann gewinnt jemand. Fertig. Getreu dem Eurovision Songcontest gibt’s dann auch Publikums-Wertung und Jury-Wertung durch Länder-Vertreter. Aber das hat ja nichts mit dem Modus zu tun.
Ortwin sagt:
“Immer eine tolle Sache, die inkompetente große Jury durch eine inkompetente kleine Jury ersetzen! Das macht’s gleich viel gerechter”
Runden und Gruppen
Halbfinal- und Gruppen. Von 6-4-2 bis 4-4-2
Die häufigste, aber auch vielfältigste Variante. Du findest sie auch als 8-3 oder 4-4-2 oder nahezu beliebige andere Zahlenkombis. Allen Bezeichnungen gemeinsam: Sie fassen einfach die Zahl der Poets in einer Runde zusammen. “7-3” heißt also: 7 in der Vorrunde, dann 3 im Finale. Bei drei Ziffern kanns schon komplizierter sein: 6-4-2 heißt üblicherweise: 6 in der Vorrunde, die besten 4 im Halbfinale, die besten 2 im Finale. Es kann im Fall von 4-4-2 aber auch bei einem Lineup aus 8 Personen heißen: 4 Leute in der Gruppe I, 4 andere Leute in der Gruppe II, zwei Leute (nämlich einer pro Gruppe) kommen ins Finale. Großer Unterschied für dich: In einem Fall brauchst du bis zu drei Texten, im anderen nur zwei. Wichtigstes Indiz: Wenn die Zahlen kleiner werden, wird “ausgesiebt”. Wenn die Zahlen gleich sind, sind es separate Gruppen. Erkennt man manchmal aber auch nicht so genau. (Im Zweifel: Nachfragen.) Wir versuchen, das ein bisschen klarer zu benennen – nämlich z.B. “6-4-2 mit Halbfinale” versus “4-4-2 mit Gruppen”. Aber vergesst es, das wird niemand jemals einheitlich sagen.
Ortwin sagt:
“6-4-2? Puh, hat ja schon einen Grund warum sonst weniger Leute weiterkommen als rausfliegen. Zwei Runden lang Elend? Ohne mich!”
Doppelte Vorrunde
Obacht! 4-4-2 kann auch was ganz anderes heißen: Es gibt nur 4 Leute im Lineup. Und die treten garantiert alle zweimal an. Die Wertungen aus beiden Vorrunden werden dann zum Beispiel zusammenaddiert und die Punktbesten von beiden Vorrunden kommen ins Finale. (Du brauchst also mindestens 2, maximal 3 Texte). Könnte natürlich auch 5-5-3 sein. You get the point.
Ortwin* sagt:
“Tolle Idee, wenn der Booker zu faul war, ein ganzes Line Up zu buchen!”
*bucht unser 4-köpfiges Lineup beim Champions Slam in der Philharmonie
Das Berliner System
Die Doppelte-Vorrunde für Moderatoren die schlecht in Mathe sind (also uns Kiezpoeten). Nämlich ohne Abstimmung in der ersten Runde, und entsprechend ohne Addieren. Wir nennen das dann die “Vorstellungsrunde”, da können sich alle erstmal austoben, und abgestimmt wird dann nur über den Text der zweiten Runde. Das haben wir Kiezpoeten uns ausgedacht, weil es ein bisschen den Wettbewerbsdruck rausnimmt. Und wir haben es “Berliner System” genannt, damit wir auch mal was benennen konnten.
Ortwin sagt:
“Tolle Idee, wenn der Booker zu faul war, ein ganzes Line Up zu buchen, aber man den Poets nicht gleich in der ersten Runde verraten will, dass die Jury sie scheiße findet.“
Battle-Varianten
Cup System oder K.O.-System: One-on-One
Niemand weiß mehr, warum es Cup System heißt. Aber das Prinzip ist einfach: ein typisches Battle-Format. Immer zwei Poets gegeneinander, Abstimmung, eine:r kommt ins Finale. Funktioniert natürlich nur mit einer geraden Anzahl Poets. Das kann relativ hart für die Auftretenden sein, macht aber für die Show viel her.
Ortwin sagt:
“Cup System? Was denn für’n Cup, es gibt doch gar nichts zu gewinnen? Aber supi, K.O.-System, so können direkt beide Favoriten in der Vorrunde gegeneinander rausfliegen und die Erpressertexte machen das Rennen unter sich aus.”
Völlig-Verrückter ABC-Cup
Ja okay, das heißt nicht wirklich so. Wir machen das eigentlich nur beim Comedy Slam, und wahrscheinlich gibt es das sonst nirgends. Es gibt drei Leute im Line-Up, und jeder tritt einmal gegen jeden an. A gegen B, B gegen C, C gegen A. Wer am wenigsten One-on-Ones gewonnen hat fliegt raus, die anderen beiden gehen ins 2er-Finale. Leider passierts auch öfter, dass Gleichstand ist, und dann gibts ein 3er-Finale. Warum machen wir das? Weils lustig ist.
Ortwin sagt:
“Versteh ich nicht. Die Leute haben doch kein Ticket für die Matheolympiade gekauft.”
Glück oder Unglück?
Das Lucky Loser Prinzip
Klingt wirklich gar nicht nett, ist aber lieb gemeint, und ist ähnlich wie das Fränkische Format eine Anpassung on top eines klassischen Modus “in Gruppen”. Und das geht so: Aus der Vorrunde (oder Gruppe) I kommt der Gruppensieger ins Finale. Aus der Vorrunde II kommt der Gruppensieger ins Finale. Und zusätzlich kommt der “nächstbeste Vize” als Lucky Loser ins Finale. Also: Vize aus Gruppe I hatte 42 Punkte, Vize aus Gruppe II hatte 41 Punkte – dann ist der Vize aus Gruppe I lucky.
Bei der Deutschsprachigen Meisterschaft in Bochum 2023 wurde das Lucky Loser System erstmals noch weiter angepasst, nennen wir es “Lucky Loser nach Differenz”. Hier zählte nicht “welcher Vize hatte die höhere Punktzahl”, sondern “welcher Vize hatte den geringsten Punktabstand zu seinem Gruppensieger”. So wird versucht, den Effekt auszuhebeln, dass Jurys sich im Laufe des Abends immer “weiter hoch werten” (weil sie betrunkener oder glücklicher werden), und der Vize aus Gruppe II damit häufig eine höhere Wertung hat als der aus Gruppe I. Klingt kompliziert. Macht man eigentlich auch nur bei Meisterschaften, wenn es einem wirklich ernst ist.
Das Gegenteil zum “Lucky Loser”-Prinzip ist das “Winner takes all”-Prinzip, logo, erklärt sich von selbst.
Ortwin sagt:
“Geile Idee, wenn man das Finale qualitativ noch einmal durchmischen will, damit man auch safe jemand mittelmäßigen dabei hat.”
Das Lucky Winner Prinzip
Klingt wie das Gegenteil vom Lucky Loser Prinzip, ist aber ganz was anderes. Der Beste aus der Vorrunde rutscht direkt ins Finale. Die anderen müssen sich nochmal beweisen, und im Halbfinale gegeneinander antreten. Der Punktbeste kommt auch hier ins Finale, und misst sich dort gegen den “frühen” Champion.
Das hat den Vorteil, dass man zum Beispiel bei einem kleinen 4-Personen-Lineup nicht einen alleine rauswerfen muss (was ein bisschen fies ist). Ist aber trotzdem kürzer und ein bisschen spannender als die doppelte Vorrunde. Dafür ist es ein bisschen unintuitiv. Und wahrscheinlich verstehen die meisten Zuschauenden nicht, was das eigentlich bedeutet: Ihren größten Favoriten sehen sie nur zwei Mal, den Vize-Favoriten hingegen drei Mal. Wenn man jemanden in der Vorrunde richtig doll mag, müsste man ihn eigentlich da knapp nicht gewinnen lassen, und erst aus dem Halbfinale ins Finale wählen. Dann hört man schließlich mehr von ihm/ihr.
Ortwin sagt:
“Klasse, bestraf das Publikum dafür, wen es am besten findet, und mach mit den Dreien weiter, die keiner nochmal sehen wollte.”
Slam-Regel-Modi
Eigentlich sind die Slam-Regeln ja immer gleich. Sollte man denken. Ist aber gar nicht so. Denn auch hier gibt’s ein paar Modifikationen. Also: wie viel Zeit hat man? Und wann wird eigentlich genau bewertet? Aber keine Angst, das ist viel einfacher als die eigentlichen Modis. Wirklich, versprochen.
Internationale Regeln
Außerhalb des deutschsprachigen Raums ist vieles anders. Beim Modus gibt es sicher noch einiges, was wir noch nie gesehen haben. Was aber sogut wie allen außerhalb Deutschlands gemein ist: Das Zeitlimit beträgt hier nur 3 Minuten, und Zeitüberzug wird in der Regel mit Minuspunkten auf die Jurywertung bestraft. (z.B. “-1 Punkt pro 15 Sekunden”). Tough!
Ortwin sagt:
“Kein Schnick Schnack, keine Anmoderation und oh.. leider kein Humor.“
Das Hamburger System
Die Kollegen von Kampf der Künste in Hamburg haben für ihre Best-Of Formate nochmal ein anderes Zeitlimit. Hier haben die Auftretenden 8-12 Minuten, man macht also meist entweder zwei Texte direkt hintereinander, eine längere Anmoderation oder Standup+Slamtext. Das eignet sich gut für ihre Youtube-Aufnahmen, und natürlich vor allem für Poets, die auch länger Spannung halten und unterhalten können. Newcomer:innen halten sowas nicht durch, weil 8-12 Minuten können ganz schön lang sein.
Ortwin sagt:
“Top-Idee, wenn euch diese nervigen Slam-Texte nach den Anmoderationen immer gestört haben: hier darf wirklich jede:r mal probieren, was er oder sie für Stand Up hält.”
das fränkische Format
…setzt sich auf das Klassische System, oder die Doppelte Vorrunde, oben drauf. Es ist der Versuch, den sogenannten “Startplatz-Malus” zu verringern, also die Beobachtung, dass Leute auf dem ersten Startplatz oft schlechtere Wertungen kriegen. Deshalb wird hier die Wertung erst nach Poet #2 eingeholt, nacheinander für Poet #1 und Poet #2. Am eigentlichen Modus ändert sich also nichts, nur am Zeitpunkt der Bewertung. Erfunden hats der Franke Michl Jakob, hence the name.
Ortwin sagt:
“Damit nicht nur der erste Startplatz einen Nachteil hat, sondern die ersten beiden!”
Das Bochumer system
Gehört hier gar nicht hin, klingt zwar so, aber ist gar kein Modus. Aber dafür brandneu! Kurz gesagt: Statt wie früher, wo eine komplizierte Liste verschiedener Poetry Slams direkt zu den deutschsprachigen Meisterschaften nominieren durfte, sind es seit der Meisterschaft 2023 in Bochum nur noch die Landesmeisterschaften, die nach einem bestimmten Schlüssel unterschiedlich viele Plätze schicken dürfen. Aber das ist einen eigenen Artikel wert.
Show-Modi
Okay, das gehört hier eigentlich wirklich gar nicht hin. Aber wenn wir schonmal dabei sind.
Lesebühne
…es gibt gar keinen Wettbewerb. Profis sitzen gemeinsam auf der Bühne und überlegen sich dramaturgisch, was am Besten passt. Fertig. Runden, Gruppen oder Lucky Loser braucht es da nicht.
Ortwin sagt:
“Genau das richtige für Leute, die „nie was mit Wettbewerb anfangen konnten“. Weil das Publikum nichts mit ihnen anfangen konnte. Konsequent, dass sie jetzt einmal im Monat in der selben Besetzung lesen, da weiß man immerhin, wo man nicht hingeht.”
Team-Slam
Es dürfen zwei oder mehr Leute gleichzeitig performen, wenn sie den Text gemeinsam geschrieben haben. Sonst bleibt alles gleich. Schau mal lieber unter “Team Slam”.
Samson sagt:
“Einer schreibt den Text, der andere krallt sich die besten Pointen und grinst frech. Aber dafür bucht er dir die Bahnfahrten zum nächsten Team-Slam!”
Uff. Und was ist jetzt das beste?
Haha, wenn wir das wüssten, bräuchte es diesen Beitrag nicht. Bei normalen Poetry Slams ist es – ehrlich gesagt – recht egal. Eine Frage des Geschmacks, der Dramaturgie, der Show. Der oder die Veranstalter:in macht einfach, worauf sie am meisten Bock haben, und teilen es dir in der Regel per Infomail oder am Abend mit. Ist eins unfairer als das andere? Ja vielleicht. Ist das bei einem normalen Slam egal? Ja absolut.
Bei Meisterschaften ist es uns aber allen ein bisschen ernster. Und plötzlich wird mit großer Inbrunst diskutiert, was fairer ist, wo der Startplatz-Effekt geringer ist, wie groß eine ideale Gruppengröße sein sollte… Man könnte sagen: ganz schön deutsch. Ja ok. Aber wir wollen es eben, bei so einem wichtigen Titel, so fair wie möglich machen. Es gibt großartige Statistiker in der Szene, die all das ausrechnen, vor allem Björn Rosenbaum und Arne Poek.
Die zwei großen “Unfairheiten” sind dabei das “Startplatz-Pech” und das “Gruppen-Pech“. Startplatz-Pech heißt: Jurys werten sich oft im Laufe des Abend nach oben. Deshalb hat es der erste Startplatz statistisch oft schwerer, ins Finale zu kommen. Der Versuch, damit umzugehen, ist die Gruppenbildung: Wenn man als Jury nur innerhalb einer kleineren Gruppe von Poet:innen entscheidet, ist gar nicht so viel Zeit, sich unfair “hochzuwerten”.
Dadurch kommt aber das Gruppen-Pech: Man stelle sich vor aus einem 8-Personen Line-Up sind die vier besten Poet:innen alle in der ersten Gruppe. Und die vier schlechtesten in der zweiten. Jetzt kommt aus jeder Gruppe nur eine Person ins Finale – das ist dann der Beste der vier besten, und der Beste der vier schlechten. Ganz schön unfair für die drei anderen aus Gruppe 1, die da auch nur hingelost wurden. Je kleiner die Gruppe, desto unfairer. Der Versuch, damit umzugehen, ist der “Lucky Loser” (siehe oben).
Perfekt ist nichts davon. Und die beste Möglichkeit, das unfaire Hochwerten zu verhindern, ist immer noch ein gutes Jury-Briefing – das sogenannte “Bouting”. Aber das ist wirklich, wirklich ein ganz eigener Blogbeitrag.