Was sind die Poetry Slam Regeln?

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Fangen wir mal ganz von vorne an: Wie bei jedem Wettbewerb gibt es auch beim Poetry Slam Regeln. Grundsätzlich sind das drei Regeln. Aber das stimmt nicht ganz.

Denn ja, die Poetry Slam Regeln sind offiziell meist tatsächlich als folgende drei zusammengefasst:

Benötigte Zeit: 7 Minuten.

Regeln des Poetry Slam

  1. Keine Requisiten & Kostüme

    Erlaubt ist nur, wie man auch im Alltag aussieht.

  2. Zeitlimit

    In Deutschland in der Regel 5-7 Minuten je nach Slam.

  3. Nur eigene Texte

    Kenntlich gemachte Zitate sind erlaubt.

Kurz zusammengefasst

So wurde das schon einst vom Erfinder Marc Kelly Smith definiert. Aber was heißt das genau? Gibt es Grauzonen? Und ist es damit wirklich schon getan? Nein – denn tatsächlich gibt es einige andere, teils implizite Regeln.

Die Requisiten-Regel: Keine brennenden Hamster beim Poetry Slam

Bei einem Poetry Slam stehen die Slammer*innen mit ihren Texten im Mittelpunkt – schließlich ist es kein Theaterstück. Deshalb gilt die wichtige Poetry Slam Regel: Kostümierungen und jegliche Requisiten sind in der Regel tabu. Klassisches Beispiel: Hier werden nur Texte vorgetragen, nicht mit brennenden Hamstern jongliert.

Wichtigste Ausnahme: Das Textblatt. Und da fängt die Grauzone schon an. Denn Textblatt ist nicht zwingend definiert als eine bedruckte A4-Seite und fertig. Manche Leute lesen aus ihren (eigenen) Büchern ab. Lasse Samström liest gerne von einer langen, aufgerollten Kassenzettelrolle. Und ab und zu vergisst jemand sein Textblatt und liest vom Handy ab. Ist das erlaubt?

In der Regel: Ja. Die meisten Slam-Master*innen lassen alles durchgehen, was nur als Medium genutzt wird, um davon den Text zu lesen. Kritisch wird es, wenn das Medium selbst zum Inhalt wird. Zum Beispiel, wenn der Text die Allmacht des Smartphones behandelt, und dass niemand mehr per Hand schreibt – und der Text vom selbigen Smartphone abgelesen wird. 

Kürzlich fragte ein Poet in der internen Slam Poets-Gruppe, was mit einem Briefumschlag sei. Könne man den Text während der Performance aus dem Umschlag holen? Wer streng ist, könnte sagen: Nein. Solange der Text nicht auf dem Umschlag selbst steht. Kriterium sei, so die vorherrschende Meinung, dass es ein Medium sei, welches beschriftet zum Textvortrag genutzt werde. Was Ortwin zu der (ironischen) Aussage veranlasste, wenn er jetzt eine tote Katze mit seinem Text beschreibe, sei das ja seine Textkatze. Ist also nicht so einfach. Paul Weigl nutzte vor einigen Jahren bei der Meisterschaft einen kreativen Umgang, indem er auf die Rückseite seines eigentlichen Textes einen Penis malte – und dieser damit dem Publikum sichtbar wurde. Als kreative Grenzüberschreitung wurde es akzeptiert.

Was ist mit sonstigen Requisiten und Kostümen? Absolut verboten. Als Kleidung darf man auf der Bühne nur tragen, was man auch sonst üblicherweise trägt. Schick machen ist okay. Clownskostüm nicht. Nun, außer der spezielle Slam sagt etwas anderes. Der Schall & Rauch zum Beispiel. Dazu siehe unten mehr!

Das Zeit-Limit: “gefühlte sechs Minuten” sind die Regel

Die Auftretenden haben “genau sechs Minuten” Zeit für ihren Beitrag, heißt es in der Moderation gerne. Je nach Poetry Slam. Manchmal sind es auch nur fünf. Ein andernmal sieben. Und manche Slam-Master*innen nehmen es auch gar nicht so genau und stoppen nicht wirklich die Zeit. Dann gucken sie erst auf die Uhr, wenn sie das Gefühl bekommen “ui, das könnte lang werden”, und messen erst ab dann. 

Auf der anderen Seite gibt es zum Beispiel die Meisterschaften, bei denen auf die Sekunde gemessen wird. Bei den Berlin-Brandenburger Slam Meisterschaften zum Beispiel: Erst ändert sich das Bühnenlicht als letztes Signal, 15 Sekunden später wird ein Störgeräusch eingeblendet. 

Es ist also durchaus wichtig, die Länge seiner Texte zu kennen – inklusive der eigenen Anmoderation und eventueller Lacher. Denn gemessen wird in der Regel ab dem ersten Wort. 

Wie es genau gehandhabt wird, entscheidet aber immer der/die jeweilige Host. Wenn es nicht schon in der Info-Mail stand, fragt also einfach bei Ankunft nochmal nach.

Im englischsprachigen Raum gibt es teils sogar Punktabzug, wenn man das Zeitlimit überschreitet. Das ist in Deutschland meistens nicht so. Schlimmstenfalls wirst du also “nur” abgebrochen – was natürlich auch nicht schön ist. Sprich also deinen Text am Besten vorher ausgiebig durch und miss die Zeit – sechs Minuten sind schneller um, als du glaubst.

Nur eigene Texte: Weder Goethe noch Bushido beim Poetry Slam

Dass nur eigene Texte vorgetragen werden dürfen, ist eigentlich selbstverständlich. Gedichte-Plagiat ist absolut verboten. Natürlich kennt nicht jede*r Slam-Master*in alle jemals geschriebenen Texte – aber leg es nicht darauf an.

Was allerdings erlaubt ist: Zitate. Ein “Zeiten ändern sich – Zeiten ändern disch!” oder ein “wer reitet so spät durch Nacht und Wind” kann man natürlich an geeigneter Stelle unterbringen. Wichtig ist dabei: Es muss “kenntlich gemacht werden”. 

Nein, du musst keine Fußnote mit voller bibliothekarischer Angabe vor deine Schuhe stellen. (Wäre auch eine Verletzung der ersten Regel.) Der Name reicht. Tatsächlich: Manchmal kannst du sogar den weglassen. Nämlich, wenn offensichtlich ist, von wem es stammt, oder das angenommen werden kann. Eine entsprechende Intonation des Zitats oder Gänsefüßchen in der Luft helfen auch dabei, die fremde Quelle zu verdeutlichen. Wenn du unsicher bist: Frag die Kolleg*innen im Backstage.

Und was ist mit “Ideenklau”? Natürlich lassen wir uns alle irgendwann mal von anderen inspirieren. Man hört einen Text und denkt sich “super Idee, sowas versuche ich auch mal.” Oder folgt seiner Assoziation und landet bei einer Weiterentwicklung. Manchmal liegt eine Idee sogar so nah, dass zwei Menschen sie unabhängig voneinander haben. Dann gibt es plötzlich zwei sehr ähnliche Texte, und ihre Autor:innen wissen gar nichts voneinander. Hierfür gibt es keine Regel – das wäre auch schwer kontrollierbar. Aber natürlich ist es Ehrensache, deutlich zu machen, wenn du eine ganz bestimmte Idee von jemandem hast. Dann ist es auch eher eine Hommage. 

Vierte Slam-Regel: Kein Gesang

Was, es gibt noch eine vierte Regel? Jap (außer du bist beim Song Slam). Denn hier beim Poetry Slam geht es um Spoken Word, nicht um Gesang. Egal, ob von dir selbst geschrieben oder von deiner Lieblingsband: auch hier werden höchstens Zitate akzeptiert. “Zitathafter Gesang”, heißt das dann. Also zum Beispiel eine Zeile aus dem Refrain. Da trifft dann im Übrigen auch zur Kenntlichmachung das Gleiche zu wie bei Text-Zitaten. 

Warum das Ganze? Wenn du sehr gut singen kannst, verschafft dir das einen Vorteil gegenüber den Anderen. Denk an Pop-Songs: Die sind beliebt, obwohl die Texte oft ziemlicher Unfug sind. Hier geht’s aber um die Texte. Und wenn du schlecht singen kannst, dann will es einfach niemand hören. Zwei sehr gute Gründe, finden wir.

Und was ist mit Rap? Tja, da ist wieder die nächste Ausnahme. Acapella-Rap ist letztlich sehr nah an gereimter Lyrik. Heißt ja auch Sprechgesang. Wo zieht man da die Grenze? Eben weil das so schwierig ist, wird hier Rappen meistens nicht als Gesang interpretiert, ist also erlaubt. Es gibt sogar Rap-Slams. Damit wollen wir natürlich nicht sagen, dass Rap keine Musik sei, das wäre lächerlich. Es fällt nur einfach unter eine andere Regel 🙂

Publikums-Regel: Respect the Poet

Die wichtigste Poetry Slam Regel für das Publikum ist Respect the Poet: Sie sorgt dafür, dass während deinem Auftritt alle ruhig sind, die Handy ausgeschaltet werden und du zumindest einen Anstandsapplaus kriegst. Gebuht wird nicht. Selbst wenn du, ehrlich gesagt, wirklich schlecht warst, sollst du wenigsten ein Mindestmaß an Respekt bekommen, dafür dass du auf der Bühne stehst.

Das gilt letztlich aber natürlich auch für dich, nicht nur wenn du im Publikum sitzt: Wenn deine Kolleg*innen auftreten, solltest du dich nicht laut im Backstage unterhalten, wenn man das vorne hört. Oder gar buhen. Selbst wenn du den Text vielleicht nicht gut finden solltest und den Sieg unverdient, verhalte dich fair. Das macht den Abend für alle angenehmer. Das heißt natürlich nicht, dass man nicht auch mal Kritik üben könnte, wenn jemand zum Beispiel diskrimierende Texte vorträgt. Oder wenn man eine super Idee hat, wie man den Text vielleicht noch stärker machen könnte. Im letzten Falle: Frag am Besten vorher, ob die Person überhaupt Feedback möchte. Das kann sonst ein bisschen übergriffig rüberkommen.

Die ungeschriebene Poetry Slam Regel

Lange haben wir es nicht für nötig gehalten, diese Regel aufzuschreiben, aber offenbar gibt es doch manche Menschen, die das noch brauchen: Hass-Reden auf Minderheiten haben keinen Platz auf unseren Bühnen. Verfassungsfeindliche Texte ebensowenig. Natürlich hat jede*r Meinungsfreiheit. Aber das garantiert einem nicht das Recht, damit auch auf unseren Bühnen aufzutreten.

Im Zweifel haben daher Slam-Master*innen natürlich auch die Möglichkeit, dich nachträglich zu disqualifizieren, wenn du gegen geltendes Recht verstößt oder aktiv zu Hass oder Gewalt aufrufst.

Gibt es hier eine Grauzone? Natürlich. Zum Beispiel bei Texten, die sehr schwierig anfangen und wir uns schon denken “oh je, das geht aber in eine ganz falsche Richtung”. Und dann kommt plötzlich ein Twist. Gute Satire, literarische Kniffe und Perspektivenwechsel sind natürlich künstlerisch durchaus erlaubt. Wenn du einen solchen Text hast, sprich vielleicht einfach vorher mit den Hosts darüber – so sind sie vorbereitet und müssen nicht überlegen, ob sie deinen Beitrag gar noch während des Textes abbrechen müssen. Aber nicht alles, was grenzüberschreitend ist, ist Satire.

War’s das dann mit den Poetry Slam Regeln?

Ja, tatsächlich. Einzelne Poetry Slams mögen ihre eigenen speziellen Regeln haben. Aber allgemein gilt: Ob Prosa, Lyrik, ernst oder lustig, ob Dada oder sogar ein selbstgeschriebenes Kochrezept: Alles kein Problem. Du darfst auf dem Boden sitzen oder liegen, mit Mikro oder ohne sprechen, das Mikro in die Hand nehmen oder den Mikroständer nutzen. Und, ganz ehrlich: So mancher kreative Regelbruch hat den Abend auch bereichert. Selbst wenn man dafür qualifiziert werden musste.

Und jetzt wirds speziell: Welche Regeln gibt es bei manchen Poetry Slams?

Die Events der Kiezpoeten sind oft ein bisschen spezieller – Sonderausgaben, Crossover-Konzepte und Experimente sind besonders in Berlin an der Tagesordnung. Deshalb gibt es bei manchen Kiezpoeten Poetry Slams noch andere Regeln:

Requisiten sind jetzt doch erlaubt?
Beim Schall & Rauch Slam im Moabiter Fabriktheater sind Requisiten explizit erlaubt und erwünscht – hinter Schattenwand oder unter Schwarzlicht gewinnen die Kostüme und Zusatzelemente eine ganz neue Bedeutung, die den Slam beinah zu einer Theaterbühne macht. Die Regel hier ist: Alles, was du selber tragen kannst, ist okay. (Also kein Klavierflügel). Was weiterhin nicht erlaubt ist, sind Instrumente. Und, weil wir gefragt wurden: Was ist mit anderen Menschen? Die Antwort ist einfach: Kannst du die Person tragen? Dann ja. 🙂 

In der zweiten Runde improvisieren!
Beim Eagel Slam in Moabit und Spandau ist die zweite Runde eine Besondere: Hier musst du improvisieren. Dazu wirft das Publikum am Ende der ersten Runde drei Begriffe in den Raum, und du hast die Pause über Zeit, einen neuen Text zu schreiben. Also nicht ganz improvisiert, aber ziemlich nah dran. Hierfür gibts keine anderen Regeln. Darfst du dabei auch Elemente aus bestehenden eigenen Texten verwenden? Theoretisch, wenn es nicht zu viel ist, ja. Wäre aber ganz schön langweilig.

Du darfst nicht älter sein als…
Beim Slam der Jugend im Atze Theater Wedding darfst du maximal 22 Jahre alt sein, um aufzutreten. Im Grips Theater gibt es einen ähnlichen Slam, der “U20 Slam Berlin”, hier ist die Altersgrenze 20. So was gibt es übrigens in vielen Städten, und sorgt dafür, dass Jugendliche einen leichteren Start in die Szene haben.

Gleichzeitig wird Musik gespielt
Beim Loop Slam oder (unregelmäßig stattfindenden) Jazz-Slams, oder dem Slam meets Klassik spielt gleichzeitig eine Band oder ein DJ, meist zu deinen Texten improvisiert. Das ist natürlich ein bisschen anspruchsvoll, hier gibt es daher meist keine Offene Liste. 

Was gibts noch?
Ach, wir lassen uns ständig neues einfallen. Hast du eine Idee? Schreib uns. Wir freuen uns immer über neue Konzepte!