Poetry Slam weltweit und international

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Wie steht es eigentlich um den Poetry Slam international – jenseits der deutschsprachigen Szene? Zwar hat Slam seinen Ursprung in den USA – aber wie läuft es auf der anderen Seite des Atlantiks? Was sind die Welt-Meisterschaften im Poetry Slam – und warum ist Deutschland eigentlich nicht dabei?

Die Slam-Weltmeisterschaft. Ohne Deutschland.

Die Worldchampionships im Poetry Slam stehen an! Vom 26.-29. September 2022 streiten in Brüssel die von ihren nationalen Dachorganisationen nominierten WortakrobatInnen um den Weltmeistertitel im Poetry Slam. Ganze 37 Nationen beteiligen sich am Wettbewerb. Deutschland nicht.

Dass sich ausgerechnet jenes Land von der weltweiten Szene isoliert, in der der Poetry Slam am etabliertesten ist, mag verwundern. Andererseits hat sich das Format Poetry Slam im deutschsprachigen Raum so anders als entwickelt, dass es gar nicht so einfach wäre, als Deutsche/r Poetry Slam MeisterIn mit bislang stets erfolgreichen Texten international zu bestehen. Und das liegt nicht allein an der deutschen Sprache.

In den 33 Ländern, in denen ich auf Poetry Slams oder slamähnlichen Veranstaltungen bislang aufgetreten bin, ist die Vortragszeit auf drei Minuten begrenzt, in Indien sogar zwei. Nur im deutschsprachigen Raum sind fünf bis sieben Minuten die Regel. Ein andernorts durchaus gängiger Anderthalbminüter würde hier glatt wie Arbeitsverweigerung wirken. 

Open Air Slam auf den Seychellen

Regeln sind was für deutsche

Auch ist der Ehrgeiz, den Wettbewerb mit einer möglichst objektiven Bewertung zu entscheiden, in anderen Ländern sehr viel geringer. Oftmals sind es nur drei Jurystimmen, die als Repräsentanten des Publikums über den Ausgang des Wettbewerbs befinden. Zehnerjurys, das Vorab-Bouten der Jury (Anweisungen á la „Bitte nicht immer höher werten im Laufe des Abends“), Streichnoten oder das Aufteilen des Gesamtfelds in kleinere und besser vergleichbare Subgruppen scheinen rein deutsche Abwandlungen zu sein – die dem Irrsinn, Poesie zu bewerten doch zumindest ein paar Zügel von Fairness verpassen sollen. Besonders auffällig: Eine Applausabstimmung, wie sie hierzulande zumindest im Finale die Regel ist, gibt es nirgendwo.

Frank Klötgen und Slam-Erfinder Marc Kelly Smith vor dem Green Mill, Chicago

Auf meinen Expeditionen in Sachen Poetry Slam durfte ich vieles entdecken, das sich von der Bandbreite deutscher Slams nochmals deutlich abhebte: Ein auf 52 PoetInnen aufgeblähtes Starterfeld in Paris, eine nach lyrischen Kriterien wertende Expertenjury in Amsterdam und die madagassische Gelassenheit, verspätet eintreffende SlammerInnen durchaus noch im Finale in den Wettbewerb einsteigen zu lassen. Ja, dieser Wettbewerb – nirgendwo scheint man ihn in der Weise ernst zu nehmen wie das hierzulande getan wird.

Das weltweite Poetry-Paradies

Aber nirgendwo anders ist es den Slammenden auch vergönnt, mit ihrer Kunst den Lebensunterhalt bestreiten zu können. Wo immer ich davon berichtete, dass in Deutschland gut zweihundert Menschen vom Poetry Slam leben und ihre Auftritte in der Regel nicht ohne Honorar abliefern, erntete ich ungläubiges Staunen. Da war auf einmal Deutschland der Exot – das Slamparadies!

Denn in Deutschland, Österreich und der Schweiz ist Poetry Slam inzwischen ein fest etablierter Teil der Kulturszene. Es ist sogar immaterielles UNESCO-Welterbe Deutschlands! Die deutschsprachige Meisterschaften erstrecken sich meist über eine ganze Woche, mit tausenden Zuschauern. Selbst die Berlin-Brandenburg Meisterschaften locken jährlich über tausend Menschen ins Publikum.

Warum also international mitmischen?

Neue/gekürzte Texte verfassen, ungerecht beurteilt werden und dafür nicht einmal einen Bruchteil der üblichen Gage einfahren?

Nun natürlich, weil es den Horizont erweitert, die Begeisterung für das zur Gewohnheit Gewordene wieder neu aufleben lässt und zudem einer der interessantesten Wege ist, ein fremdes Land zu erkunden (sofern es sich nicht um einen vom Goethe-Institut o. Ä. kuratierten Ausflug handelt). Es ist der letztlich immer lohnenswerte Zwang, seine Komfortzone zu verlassen.

Nach dem Auftritt im La Marca, Havanna

In den exotischeren Ländern, auf denen ich bei einem Poetry Slam aufgetreten bin, war es erst einmal die schwerste Bewährungsprobe, überhaupt an den Ort des Geschehens zu gelangen. Man lernt zu begreifen, dass ein Veranstaltungssaal mitnichten im Keller oder Erdgeschoss eines Gebäudes zu finden ist. Die Tür zum Glück kann auch schon mal unvermutet im dritten Stock auf uns warten.

Und die Adresse eines Veranstaltungsortes in einem indischen Compound bezeichnet nur das Eintrittstor zu einem Mikrostadtteil, in dem man besser nicht sein Handy zückt, um Google Maps zu Rate zu ziehen. In Antananarivo stiefelte ich ein düsteres Treppenhaus rauf und runter, in Honolulu hatte ich ein Fitnessstudio plus Parkhaus zu durchqueren. Beide Male war ich mir noch in der Eingangstür unsicher, ob ich wirklich am Ziel war.

Slam im Cuckoo Club, Mumbai

In Abu Dhabi musste ich kurz vor Mitternacht einen Uni-Campus absuchen, in San José ein Rotlichtviertel durchkreuzen – Situationen, in denen man sich fragt: “Was, zur Hölle, tust du eigentlich hier?

Aber sobald man die Bühne mit einem Mikrofonständer vor sich sieht, lösen sich alle Unsicherheit und alles Unheimliche in Nichts auf. Am Ende ist der Poetry Slam ein probates Mittel, wirklich empfehlenswerte Clubs einer fremden Stadt zu entdecken. Und das Fehlen jeglicher anderer TouristInnen bestätigt einen in der Ahnung, dass man ohne Slam nie an diesem Ort gelandet wäre.

Die Sache mit der Sprache

Natürlich sollte man englische Versionen seiner Texte – möglichst auswendig – parat haben (das Ablesen von Slam Texten ist in anderen Ländern zuweilen unüblich). Besser und eine Geste des Respekts ist ein Text auf der Landessprache. Deepl in Kombination mit den Ratschlägen einer MuttersprachlerIn liefert da schon Brauchbares – und, wie gesagt, es geht um eine Geste.

Man sollte aber auch keine Scheu haben, den zweiten Text (meist gibt es ein Halbfinale zusätzlich zu Vorrunde und Finale) auf Deutsch zu zelebrieren, sofern man einen performativen, reimenden, rhythmischen Text zur Hand hat. Zwei bis drei Minuten einen Text auf einer fremden Sprache zu hören, ist für alle interessant genug.

Und auch das ist ein Gewinn von Auftritten in anderen Ländern: Man erlebt Texte in ihrer Reinform, als klangliche Hüllen und Strukturen; man erlebt performte Emotion ohne Ablenkung von Wortbedeutungen; und man erlebt Auftretende, für die das Slam-Mikrofon der einzige Kanal ist, Wut und Anliegen mit ehrlicher Inbrunst zu Gehör zu bringen. Das macht Spaß, ist lehrreich und wird oft gekrönt durch eine ausgedehnte Feier mit neuen Freund:Innen.

Mit den Slammastern in Antananarivo

Sollte sich jetzt jemand angefixt fühlen, besteht ja die Chance, dass die nächsten World Championships auch eine/n deutsche/n StarterIn begrüßen. Und vielleicht sogar in Deutschland stattfinden.

Wenn du bis dahin in Berlin ein bisschen internationales Slam-Gefühl schnuppern willst: Am 21.10. treffen beim Champions Slam “Berlin gegen den Rest der Welt” aufeinander – unter anderen mit der Kubanerin Luz, dem Schotten Miko Berry und der Texanerin und Australischen Meisterin Arielle Cottingham.


Poetry Slammer Frank Klötgen (Kiezpoeten-Pool)

Autor: Frank Klötgen

Frank Klötgen ist Poetry Slammer der ersten Stunde und nicht wegzudenken aus der deutschen Szene. Er trat in über 30 Ländern auf vier Kontinenten auf (und schrieb darüber ein Buch). Inzwischen ist er festes Mitglied des Münchner Ensembles “Lach & Schieß-Gesellschaft” und kommt damit im Februar 2023 endlich auch ins Berliner Pfefferberg-Theater (Mehr Infos hier).

Fotos: (c) Katrin Witte