So besiegst du die Corona-Schreibblockade

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Ein weißes Blatt Papier, eine blinkende Senkrechtlinie in einem leeren Textdokument, ein paar vielversprechende Zeilen in einem Notizbuch ohne Fortsetzung, im Dokumentenordner stapeln sich die Textfragmente. Elende Schreibblockade.

Wenn du regelmäßig schreibst, kennst du diesen Zustand vielleicht. Schreibblockaden können frustrierend und zermürbend sein. Sie sind ein Kampf gegen dich selbst. Es gibt Phasen, da sprudeln die Textideen nur so aus deinen Fingern und dann solche, in denen du jeden deiner Gedanken sofort verwirfst.

Aber woran liegt das? Das Handwerk oder dein Talent verschwinden ja nicht einfach so. Ist es fehlende Liebe zum Schreiben? Sollte man nicht gerade jetzt viel Zeit und Ruhe zum Schreiben haben, wo man nicht mehr ständig unterwegs ist? Poetry Slammer*innen und Autor*innen sind immer auch ein bisschen Zeitzeug*innen und spiegeln die Gesellschaft wider. Warum fehlt so vielen von uns dann gerade jetzt die Inspiration und der Antrieb?

Das lässt sich vielleicht am ehesten durch fehlende Selbstwirksamkeit erklären. Seit März 2020 können Veranstaltungen nur begrenzt (wenn überhaupt) stattfinden. Die Maßnahmen sind natürlich notwendig, dennoch hat dieser Zustand zur Folge, dass viele Auftretende sich nicht mehr gebraucht fühlen. Ersetzt durch Streamingdienste und andere on-demand Angebote.

Bühnen und Austausch verhindern die Schreibblockade

Einigen fehlt auch das „in-Bewegung-sein“ und der Austausch mit den Menschen, sowohl beruflich als auch privat. Auf einer Veranstaltung trägst du ja nicht nur fünf Minuten deinen eigenen Texten vor, sondern hörst auch die Texte der anderen und triffst regelmäßig auf neue Gesichter oder alte Bekannte im Backstage.

Man tauscht sich über die Texte aus oder führt Gespräche, die neue Ideen hervorbringen. Die momentane Alltagssituation tut das nicht.

Wahrscheinlich haben viele von uns am Anfang unseren „Corona-Text“ geschrieben und ihn dann in der Schublade zu den anderen nicht fertigen Textideen gelegt. Denn mal ehrlich, wer will diese Texte noch hören, wenn wir hoffentlich irgendwann zur Normalität zurückkehren und wieder auf die Bühne dürfen?

Für meinen persönlichen Schreibprozess ist die Bühne obendrein unverzichtbar. Wenn ich einen Text zum ersten Mal auf einem Slam vortrage, ist er in der Regel gar nicht fertig. Es kann gut sein, dass ich im Laufe der ersten Zeit, einen großen Teil des Textes streiche und den Rest noch einmal komplett umbaue.

Denn erst auf der Bühne merke ich, wie sich ein Text anfühlt, wie das Publikum ihn aufnimmt und versteht und wo er noch Schwächen hat. Und außerdem: Der Job von uns Poetry Slammer*innen ist eben nicht nur das Schreiben. Poetry Slam braucht eine Bühne. Ohne diese Plattform hört niemand unsere Texte. Wozu dann also überhaupt schreiben?

FÜR WEN SCHREIBST DU?

Es stimmt: Bühnen und der Austausch mit anderen sind besonders hilfreiche Mittel, um eine Schreibblockade zu überwinden. Leider steht uns da der Corona-Lockdown im Wege. Du musst also eine neue Motivation finden: Für wen schreibst du?

Auf diese Frage habe ich persönlich aber inzwischen eine Antwort gefunden: Für mich. So einfach eigentlich.

Denn im besten Fall kann Schreiben noch viel mehr sein, als die bloße Vorarbeit für die Bühne. Es kann dir helfen, deine Gedanken zu strukturieren und dafür sorgen, eine Balance zu finden. Gerade in Zeiten, in denen der Alltag aus dem Gleichgewicht geraten ist, ist das umso wichtiger.

Mit diesen 4 Tricks überwindest du die Schreibblockade:

Du kannst natürlich einfach den Kiezpoeten Online-Workshop mitmachen, wenn du Ideen und Unterstützung beim Schreiben brauchst. Mit diesen vier Übungen bist du aber schon auf dem besten Weg, dich selbst wieder in den Schreibfluss zu bringen:

1. Automatisches Schreiben. Einfach machen.

"Just do it": Automatisches Schreiben. Bildquelle https://pixabay.com/de/illustrations/tafel-schrift-tun-machen-handeln-4284009/

Das ist eigentlich die leichteste Basic-Übung von allen – und sie ist schon über 100 Jahre alt. Ursprünglich wurde sie von einem französischen Psychologen erfunden, um einen Zugang zum Unterbewusstsein seiner Patient*innen zu schaffen. 1920 übernahm der Surrealist André Breton sie als Methode für literarische Schreibprozesse. Aber genug zur Theorie, kommen wir zur Praxis:

Stell dir einen Timer auf 5 Minuten und dann schreib. Ohne nachzudenken. Ohne zu korrigieren. Du wirst überrascht sein, wie viel du zu sagen hast, wenn du erstmal anfängst.

Es geht hier nicht darum, ein literarisches Meisterwerk zu verfassen, sondern zu erkunden, welche Gedanken dir im Kopf rumschwirren. Wenn du einen davon erstmal zu greifen bekommst und aufgeschrieben hast, fällt es häufig viel leichter, ihn fortzuspinnen.

Du kannst diese Übung beliebig modifizieren. Nimm dir beispielsweise ein bestimmtes Thema, einen Satz oder einen sonstigen Schreibimpuls vor, an dem du dich abarbeiten willst. Manchmal hast du vielleicht auch schon eine Idee, worüber du schreiben möchtest und weißt einfach nicht, wie du anfangen sollst.

Manche Schreibende nutzen die Übung auch, um sich freizuschreiben. Das heißt, sie schreiben alle Gedanken auf, die sie vom Schreiben ablenken könnten, bevor sie ihre eigentliche Arbeit beginnen. Zusätzlich kann es helfen, den Stift beim Schreiben nicht abzusetzen. Auch Gedanken wie „An dieser Stellte komme ich nicht weiter“ oder „Ich weiß nicht, wie ich das formulieren soll“ werden aufgeschrieben. Deine Gedanken sind wertvoll, auch die, die dir erstmal unbedeutend vorkommen.

In so einem fertigen Minuten-Fragment wirst du in der Regel immer eine Idee finden, mit der du weiterarbeiten kannst. Probiere es doch einfach mal aus!

2. Morgenseiten. Stetes Schreiben höhlt die Blockade.

Morgenseiten: Kaffee und Texten gegen die Schreibblockade. Quelle https://pixabay.com/de/photos/kaffee-koffein-tasse-cafe-2238108/

Wer kennt das nicht, das Grübeln und Zweifeln und am Ende schreibst du gar nichts auf, weil du denkst, da käme noch was Besseres.

Diese Übung erfordert ein bisschen Disziplin. Es geht darum, eine Regelmäßigkeit beim Schreiben zu entwickeln und so den eigenen Anspruch an das Ergebnis regulieren zu lernen.

Julia Camaron ist eine Schriftstellerin aus den Vereinigten Staaten und große Verfechterin der Morgenseiten. Jeden Morgen schreibt sie drei Seiten Papier voll. Für sie ist es wichtig, das per Hand zu tun. Es ist ein bisschen wie ein Tagebuch, nur, dass es morgens geschrieben wird. Camaron sagt, die Tageszeit sei wichtig, da man abends eher reflektiert und morgens eher strukturiert.

Morgenseiten können bei der Tagesplanung behilflich sein, oder dafür sorgen, dass man nicht den ganzen Tag sinnlos über ein Thema oder einen Konflikt grübelt, weil man sich schon am Morgen die Zeit genommen hat ausführlich darüber nachzudenken und zu schreiben.

Genauso wie beim Automatischen Schreiben kannst du deine Gedanken bei dieser Übung unzensiert niederschreiben. Und das jeden Tag. Wie ein Ritual, bis das Schreiben dir ein inneres Bedürfnis geworden ist.

Ich muss gestehen, dass ich diese Übung meistens nicht mehr als zwei Wochen am Stück konsequent durchziehen kann. Doch auch diese kurzen Phasen haben mir oft geholfen, meine Produktivität wieder anzukurbeln.

Vielleicht bist du ja disziplinierter als ich. Und wenn du dann die Niederschriften zu einem späteren Zeitpunkt nochmal durchliest, bleibst du bestimmt an dem einen oder anderen Satz hängen, der sonst verloren gegangen wäre.

3. Innere kritische Stimme. Die Literaturkritikerin in dir.

Innerer Kritiker beim Gedichte schreiben. Quelle https://pixabay.com/de/photos/gl%C3%A4ser-lesebrillen-brillen-1246611/

Diese Übung hilft dir vielleicht nicht unbedingt dabei, einen Textansatz zu finden. Doch sie ist sehr hilfreich dabei, sich die eigenen überhöhten Ansprüche vor Augen zu führen. Die Übung selbst ist einfach. Schreibe typische, kritische Sätze auf, die dir in den Sinn kommen, wenn du schreibst. Am besten solange, bis dir keine mehr einfallen.

Meine Erfahrung war folgende (Achtung Spoilerwarnung, wer die Übung unvoreingenommen durchführen möchte, sollte den folgenden Absatz erstmal überspringen):

Mir ist aufgefallen, wie unverhältnismäßig hart ich mit mir selbst ins Gericht gehe. Jeder anderen Person, die mir sagen würde, dass ihre innere Stimme, solche Sachen von sich gibt, würde ich doch innerhalb von wenigen Sekunden eine endlose Reihe von Gegenargumenten präsentieren, die alle valide wären. Warum bin ich dann also zu mir selbst so hart?

Tatsache ist, dass wir diese kritische Stimme alle in uns tragen. Zu einem gewissen Grad ist sie auch hilfreich, weil die Stimme dich antreibt deine Texte zu überarbeiten und dich weiterzuentwickeln.

Dennoch solltest du ihr nur dosiert Redezeit gewähren. Diese Gedanken einmal ungefiltert niederzuschreiben ist der erste Schritt, um sich zu vergegenwärtigen, dass sie da sind und wie destruktiv es ist, sich davon leiten zu lassen.

4. Andere Bühnen. Jenseits des Scheinwerferlichts.

Bühnen und Publikum helfen gegen die Schreibkrise. https://pixabay.com/de/photos/h%C3%B6rsaal-stadion-bank-st%C3%BChle-2584269/

Trotz allem ist und bleibt das Schreiben für mich etwas, was ich nicht auf Dauer im Stillen tun möchte. Vielleicht geht es dir ja auch so. Aber auch hier kannst du dir selbst zumindest ein wenig Abhilfe schaffen.

Hol dir das Feedback aus deinem Umfeld. Vielleicht hast du Freund*innen, die auch schreiben. Dann macht euch feste Verabredungen zum Austausch. Vielleicht gibt es auch schon bestehende Schreibgruppen in deinem Umfeld, denen du dich anschließen kannst.

Wichtig ist hierbei, dass vorher Feedback Regeln besprochen werden. Ein kritisches Feedback kann hilfreich sein, aber auch lähmend wirken. Sei nicht scheu dir das einzufordern. Es kann schon helfen, wenn du dir wünschst, zuerst positives Feedback zu hören, bevor man zu der negativen Kritik kommt. Oder du weist auf bestimmte Punkte deiner Textidee hin, zu denen du Rückmeldung haben möchtest, weil du noch nicht zufrieden bist.

Es ist gut, offen für Feedback zu sein, da es dich oft auf Punkte aufmerksam macht, die du selbst nicht gesehen hättest. Doch ob du die Kritik annimmst, entscheidest am Ende immer du. Es sind deine Texte, deine Worte, deine Gedanken.

Soziale Medien können natürlich auch eine Bühne sein. Den Varianten sind hier keine Grenzen gesetzt. Du kannst Textfragmente als Fotos oder Videos bei Instagram posten, lange Facebook-Beiträge verfassen, einen Internet-Blog führen, und so weiter. Alles womit du dich wohlfühlst.

Sei dir aber bewusst, dass du die Art des Feedbacks hier weniger beeinflussen kannst. Auch das Thema Datenschutz solltest du im Blick behalten.

Viele Wege führen zum Schreiben

Du siehst, es gibt viele Wege raus aus der Schreibblockade. Das waren nur ein paar Möglichkeiten, die ich ausprobiert habe und wie du sehen konntest, haben sie auch bei mir unterschiedlich gut funktioniert.

Letztlich gibt es noch viel mehr Schreibübungen und Ansätze, die dir dabei helfen können. Sie sind nicht nur nützlich, wenn es um Schreibblockaden geht, sondern auch um dein Schreibprofil besser kennen zu lernen und zu erweitern.

Allein das sehr empfehlenswerte Buch von Julia Cameron („Von der Kunst des kreativen Schreibens“) bietet dazu unzählige Methoden und Denkanstöße. Oder natürlich der bereits erwähnte Schreibworkshop.

Das Schreiben an sich oder das Überwinden einer Schreibblockade ändert natürlich nicht die aktuelle prekäre Lage vieler Schreibenden. Es ist emotional sehr wichtig, ob für Poetry Slammer*innen, Schriftsteller*innen oder sonstige Schreiberlinge. Viele leben allerdings vor allem von Auftritten und Lesungen vor Publikum. Wie du in dieser Lage die Schreib-Profis unterstützen kannst, liest du in diesem Blogbeitrag.

Ich habe bisher trotz allem keinen neuen Slamtext fertiggestellt. Aber das ist auch ok, denn es drängt ja gerade nicht. Jetzt ist nicht die Zeit, um an sich selbst zu zweifeln, sondern um wohlwollend und achtsam mit sich umzugehen und sich etwas Gutes zu tun. Mir ist inzwischen wichtiger, dass ich dranbleibe und spielerisch an den Schreibprozess herangehe, anstatt mich unter Druck zu setzen.

Dadurch habe ich eine ganz neue Qualität des Schreibens für mich entdeckt. Es gibt meinen Gedanken Gewicht und einen Wert und auch das kann für mich Selbstwirksamkeit bedeuten. Dabei entstehen viele neue Textfragmente und Gedichte, die ich vorher so nicht geschrieben hätte, weil sie nicht in ein Slamtext-Format gepasst hätten. Daher zum Schluss dieses Beitrags ein kleines Beispiel aus den letzten Monaten…

Es ist still…

Es ist still im Theater
Es ist still in Clubs und Bars 
Es ist still in Opern und Konzerthallen
In den Straßen und den Parks
Es ist still in der U-Bahn 

Denn jeder hört Musik 
Oder Hörbuch oder Podcast
Über Kunst und Politik
Medizin und Einzelhandel 
sind systemrelevant

Der Staat kann halt nicht alle retten 
So viel zum neu’sten Stand 
Deshalb lasst uns zusammenhalten
Jetzt kommt es auf uns alle an
“Stay home” und “Wir schaffen das”
Jede*r tut was er*sie kann

Ein Autor kann doch trotzdem schreiben 
Eine Sängerin kann singen 
Ein Piano kann noch klimpern
Man kann doch heut’ auch streamen


Dennoch ist’s still um diese Menschen
denn die Lage die hängt schief 
Die Stille und der Stillstand 
Stimmen wenig kreativ 

So sitz ich hier an meinem Schreibtisch
Und schreibe dies’ Gedicht
Das mag ja auch ganz nett sein
Doch Kultur ist es noch nicht


Birdy, poetry Slammerin. Foto: Nune Arazyan/Kiezpoeten

Autorin: Birdy / Birte Henneberger, Slam Poetin seit 2017, Singer-Songwriterin der Band „Sommertag“, Veranstalterin des Poetry Slam Köpenick und Masterstudierende im Biografischen und Kreativen Schreiben (Alice-Salomon-Hochschule Berlin)


Literatur zum Thema Schreibblockade: