Die kurze Antwort: So, wie die jeweilige Person am liebsten angekündigt werden möchte. Im Zweifel einfach neutral mit dem Vornamen, ohne Pronomen.
Die lange Antwort:
Eigentlich ist es super simpel. Und es wäre schön, würde es keine lange Antwort brauchen. Denn am Besten fragen Veranstaltende schon in der Info-Mail alle Auftretenden danach, wie sie angekündigt werden wollen. Oder sie machen im Backstage eine kurze Namens- und Pronomenrunde, bei der alle (wirklich alle! Auch die cis (also nicht trans) Auftretenden!) kurz ihren Namen und ihre Pronomen nennen. Das ist nicht nur für trans Poet:innen inklusiver, sondern auch für Leute, die das erste Mal auftreten und im Gegensatz zu den alteingesessenen Slammenden noch nicht alle kennen.
Aber leider ist es manchmal nicht so leicht, wie es sein könnte.
Mein eigenes Coming Out ist zwei Jahre her: Damals fing ich an, auch öffentlich zu sagen, dass ich trans bin: dass also meine Geschlechtsidentität nicht weiblich ist, wie bei meiner Geburt aufgrund meiner Geschlechtsmerkmale angenommen wurde.
Seitdem habe ich aufgehört zu versuchen, in die Kategorie „Frau“ zu passen. Vor meinem ersten Poetry Slam Auftritt mit meinem neuen Namen Jonin war ich unglaublich nervös. Ich war zuvor schon drei Jahre lang auf Slambühnen im deutsprachigen Raum unterwegs. Viele Leute kannten mich – aber eben unter meinem alten Namen, den ich ablegen wollte.
Mit zitternden Fingern tippte ich der Moderatorin vor dem nächsten Auftritt eine Nachricht und fragte unbeholfen, ob sie mich bitte doch als Jonin und mit neutralen oder er-Pronomen ankündigen könne. Wahrscheinlich entschuldigte ich mich noch dafür, dass ich ihr diese Umstände machte.
Ich war verunsichert und wusste nicht, wie ich meine Transidentität auch auf der Bühne ausleben könnte. Damals kannte ich keine anderen trans Personen, die Poetry Slam machten. So dachte ich jedenfalls – denn im Laufe der Zeit hatten dann ein paar Poet:innen, mit denen ich befreundet war, ihr Coming Out.
Nach diesem ersten (wunderbaren, aber doch sehr unsicheren) Auftritt als Jonin folgten viele schöne Auftritte, Gespräche im Backstage und mit Menschen aus dem Publikum, aber auch Unmengen an anstrengende Diskussionen und…
Unangenehme Fragen
Hier die Top 4 der häufigsten unangenehmen Fragen zu meiner Transidentität, gestellt von Menschen, die kein Gespür haben, welche Themen für ein Backstagegespräch mit einer TIN* Person angebracht sind. (Disclaimer: Diese Liste hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit und die Reihenfolge hat nichts damit zu tun, wie unangenehm die Fragen sind.)
- “Ähh? Du heisst doch soundso??!”
- “Darf ich dir eine persönliche Frage stellen? Also da unten? Sind deine Genitalien jetzt…?”
- “Wann machst du DIE Operation?”
- “Und für deine Eltern? Für sie ist das sicher nicht leicht?”
Und nicht zuletzt erlebte ich viel Misgendering: Menschen verwendeten falsche Pronomen auf oder neben der Bühne für mich.
Mit dem falschen Pronomen angesprochen zu werden ist für viele TIN Menschen sehr schmerzhaft und kann Gender-Dysphorie, also ein starkes, körperliches oder soziales Unwohlsein im Bezug auf das eigene Geschlecht auslösen. Besonders, wenn es auf der Bühne vor Publikum passiert, kann das sehr verunsichern und einen gesamten Abend zu einem negativen Erlebnis machen.
All diese Erlebnisse haben das sonst meist schöne Auftreten getrübt.
Netzwerk gründen
Im Gespräch mit anderen wenigen trans Poet:innen, die ich kannte, realisierten wir, wie viel Aufklärungsarbeit wir leisten. Wie alleine wir uns häufig mit unseren spezifischen Problemen und Anliegen fühlen und dass wir (abgesehen von uns) sonst fast keinen Kontakt zu anderen transgender, intergeschlechtlichen oder nichtbinären Poet:innen haben.
So beschlossen Lois Stettler, Runa Wehrli und ich das Netzwerk TINte Bühnenliteratur zu gründen. Das Ziel von TINte ist, TIN Auftretende zu vernetzen und ihnen und ihren Anliegen eine Plattform zu bieten. Desweiteren machen wir nun nicht mehr alleine, sondern gemeinsam strukturiert Aufklärungs- und Sensibilisierungsarbeit.
Zum Beispiel bieten wir den Workshop „Gender_queer_sensibel Veranstalten“ an, in dem es darum geht, wie Veranstaltende ihr Event für TIN-Menschen angenehm gestalten können.
Ebenso ist das Fördern von TIN Poet:innen uns ein Anliegen, weshalb uns Veranstaltende anfragen können, wenn sie ihr Line up diverser gestalten wollen. Wir leiten diese Anfragen intern an unsere Mitglieder weiter und stellen bei Interesse den Kontakt her.
Wer mehr zum Netzwerk “TINte Bühnenliteratur” wissen möchte oder interessiert daran ist, Mitglied zu werden, findet weitere Informationen auf unserer Website.
Das Netzwerk „TINte Bühnenliteratur“ ist ein Verein für (*) transgender, intergender und nichtbinäre (kurz TIN) Personen, die mit eigenen Texten auf Bühnen auftreten. Was transgender, intergeschlechtlich und nichtbinär heisst, ist unter der Website von TINte nachzulesen. Dieser Text wurde von Vorstandsmitglied und Slam Poet Jonin Herzig verfasst, di:er das Netzwerk im Herbst 2019 mitgegründet hat.