Zurück zu: 4. Humor
Vom Häschenwitz zur Comedy
Lerne, was und warum etwas uns zum Lachen bringt und wie du deine Witze aufbaust.
In diesem Kapitel wollen wir einen eher analytischen Blick auf Witze werfen: Warum lachen wir an manchen Stellen? Und wie kannst du das für deine Texte nutzen? Was macht den einen Witz lustiger als den anderen?
Lustig ist, was anders ist.
Wir lachen immer dann, wenn etwas nicht unserer Erwartung entspricht. Dinge, die nicht zusammenpassen, aber gemeinsam auftreten, sind lustig. Wir nennen das Erwartungsbruch. In der nächsten Lektion lernst du darüber noch viel mehr.
Stell dir diese (zugegebenermaßen etwas abgedroschene) Szene vor:
Gestresster Mann im Anzug. Er hastet die Straße hinunter, übers Telefon hitzige Budgetverhandlungen. Seinen Weg bahnt er sich rücksichtslos durch die Menge, stößt dabei immer wieder Unbeteiligte zur Seite.
Vor einem Obststand tritt er plötzlich in weiche Pfirsiche auf dem Boden. Überrascht aufgerissene Augen. Eine Millisekunde der Sprachlosigkeit, dann rutscht er aus, und fliegt der Länge nach auf den Boden.
Was ist hier passiert?
- Erwartungsbruch: Ziel wird nicht erreicht, weil der Protagonist ausrutscht
- Gegensätze: Widerspruch zwischen Anzug, Arbeitsstress, Zielstrebigkeit und Ungeschicklichkeit, am Boden liegen
- Schadenfreude & Erleichterung: “Schicksal” bestraft die vorangegangene Rücksichtslosigkeit
- Spott: das Unglück ist nicht uns passiert!
Dieses Beispiel ist sicherlich ein wenig konstruiert, zeigt die Grundideen von Komik aber gut auf.
Schauen wir uns weitere Themen und Grundprinzipien lustiger Texte / Situationen an.
Was sind die Motive eines Witzes?
Als Motive bezeichnen wir die Inhalte deines Textes: Szenen, Bilder, Situationen.
Prinzipiell kann also alles das Motiv deines Witzes sein.
Welche Themen sich besonders gut eignen und warum – darüber zerbricht man sich seit Jahrhunderten den Kopf und wir könnten sicherlich einen ganzen Online-Workshop nur damit füllen.
Die unten vorgestellten Ideen zeigen dir eine Auswahl an möglichen Motiven sein ohne jeglichen Anspruch auf Vollständigkeit:
Alltagsprobleme
Die berühmteste Frage des Stand-Up ist wohl “Kennt ihr das auch, wenn…”.
Der Alltag beschäftigt und ärgert uns alle gleichermaßen. Wenn du diese Themen in deinem Text unterbringst, fühlt dein Publikum sich gesehen, verstanden, erkennt sich selbst darin wieder.
Besonders viel Humor entsteht dann noch im zweiten Teil: Der kreativen Problemlösung. Und da gilt wieder: Bring Widersprüchliches zusammen, sei unkonventionell und trau dich ans Absurde.
Überlegenheit
Menschen fühlen sich gern einer Gruppe zugehörig. Wenn diese Gruppe dann auch noch “auf der richtigen Seite” steht, freuen wir uns besonders. Dass ist keine Entschuldigung, verletzende Witze zu machen.
Schadenfreude und belustigtes Herabschauen auf Andere kann – wenn du gut formulierst – aber ein starkes Mittel des Humors sein.
Erwartungsbruch
Wenn wir auf die falsche Fährte gelockt werden, unsere Erwartung nicht erfüllt wird, entsteht Humor.
Die meisten Wortspiele funktionieren auf diese Art und Weise, da zwei unterschiedliche Bedeutungen aufeinandertreffen.
Mehr zum Erwartungsbruch gibt es – wie bereits erwähnt – im nächsten Kapitel.
Gegensätze
Eine kleine Person, die vor dem Lesen ihres Textes irritiert das zu hoch eingestellte Mikro mustert, die Arme entrüstet in die Hüften stemmt und das Mikro dann mit großen Bewegungen auf die eigene Höhe runterstellt, hat den ersten Schmunzler schon mal sicher.
Man kann auch gegensätzliche Text-Formen zusammenbringen: Ein geschrienes Liebesgedicht, die politische Ansprache als Schlagersong, Goethes Zauberlehrling in Jugendsprache.
Entlastung / Entspannung
“Schau mal, Mama!”, ruft das Kleinkind und präsentiert stolz das eigene Werk: Die ganze Wand im Schlafzimmer wurde in allen erdenklichen Filzstiftfarben verziert.
Statt die Nerven zu verlieren, seufzt die Mutter ironisch “Ach, wie schön. Ich wollte doch immer schon streichen.”
Galgenhumor hilft uns durch Krisensituationen. Beim Lachen denken wir positiv und schütten Glückshormone aus. Deswegen sind solche Situationen des Aufatmens übliche Motive der Comedy.
Politik
Die humoristische Betrachtung von politischen und gesellschaftlichen Problemen nennen wir in der Regel Kabarett oder Satire.
Politik ist allgegenwärtig, daher haben solche Jokes oft einen “Aha-das-kenn-ich-Effekt” aufs Publikum. Gleichzeitig gibt es eine große Fallhöhe: Für politische Probleme suchen wir besonders dringend kreative Lösungen. Politiker:innen stehen scheinbar unantastbar in der Öffentlichkeit, deswegen lachen wir bei Witzen über ihr (potenzielles) Privatleben.
(potenzielle) Konflikte
Vom IKEA-Besuch direkt in die Paartherapie: Beziehungsthemen in allerlei Hinsicht bieten eine ganze Bandbreite an humoristischen Geschichten. Nicht nur die Paarbeziehung. Schwiegereltern, eigenes Kind in der Trotzphase, Streit mit Kollegen oder Kundinnen.
Überall dort, wo unterschiedliche Lebensweisen und Ansichten aufeinandertreffen, kann Humor entstehen.
Absurdität
Was soll das? Was ist hier los?
Manchmal lachen wir einfach, weil wir nicht fassen können, was gerade passiert. Sehr drastisch erlebst du das im Dadaismus. Aber auch die berühmten “Momente zum fremdschämen” leben davon, dass man tief in sich denkt “Erlebe ich das gerade wirklich?!”.
Seltsame Lautgedichte, vollkommen überdrehte Gedankenspielereien und Übertreibungen fallen in diese Kategorie.
Komik ist Tragik in Spiegelschrift.
Dieser Ausspruch vom Schriftsteller James Thurber macht die Ambivalenz humoristischer Situationen deutlich und zeigt ein weiteres starkes Motiv von Witzen auf: die Unzulänglichkeit des Menschen, die Ungerechtigkeit der Welt.
Humor bezeichnet nämlich nicht nur die Fähigkeit, Andere durch Albernheiten und scharfsinnige Beobachtung zum Lachen zu bringen. Es geht auch um eine Haltung zum Leben und zur Welt.
Sei aber vorsichtig im Umgang mit Tragik: Auf die richtige Formulierung kommt es an. Stell dir vor, in unserem oberen Beispiel des ausgerutschten Anzugträgers hätte “…und stürzt fürchterlich auf den harten Asphalt” gestanden, statt “…und fliegt der Länge nach…”. Das Humorpotenzial wäre um einiges gesunken, weil wir beim Lesen / Zuhören mehr im Schmerz als in der Erleichterung sind.
Fingerübung: Humor entdecken
Nimm das Video unten als Beispiel für einen lustigen Slamtext.
Unsere Kollegen Ortwin und Samson (als Team “Wortwin & Slamson”) haben hier das Prinzip “den Alltag in einen Witz verwandeln” perfektioniert. Aber auch die anderen oben besprochenen Techniken kannst du hier wiederfinden.
Achte beim Anschauen auf folgende Aspekte:
- Welche Motive nutzen Ortwin und Samson?
- Wie werden Erwartungen gebrochen, um Humor zu erzeugen?
- In welchen Situationen denkst du dir “das kenne ich” ?
- Welche anderen Humorprinzipien außer der Alltagsprobleme werden genutzt?
Auch beim Humor gilt: Du musst es selbst ausprobieren und erfahren statt nur darüber zu lesen. Und Übung macht sowieso den Meister, das wissen wir schon.
Öffne also deinen Blick für witzige Situationen in deinem Alltag und lerne daraus.
Schau dir einen lustigen Film an, such eine lustige Stelle in einem Buch oder einen lustigen Slamtext, den du kennst:
An welchen Stellen lachst / schmunzelst du? Welches Motiv ist das? Welches Humorprinzip wurde verwendet?
Probiere das mit einigen Szenen.
Je mehr du deinen inneren Werkzeugkoffer mit Beispielen füllst, desto eher kannst du darauf zurückgreifen und die Inhalte für deine Texte nutzen.
Wie verwandelt man einzelne lustige Situationen nun aber in einen gut geschriebenen Witz?
Schauen wir es uns an:
Aufbau eines Witzes
Auch Witze leben von einer Dramaturgie. Wie beim Text im Ganzen können wir uns einen Spannungsbogen vorstellen, hier aus vier Schritten:
- Einleitung
- und Exposition stellen Figuren und Rahmen der Handlung vor
- in der Complicatio spitzt die Handlung sich zu, eine (scheinbar) eindeutige Interpretation wird herausgefordert
- die Pointe enttäuscht die eindeutige Interpretation und zeigt den verborgenen Doppelsinn der Complicatio auf
Haddu Möhrchen?
Ein sehr simples Beispiel, um diese vier Schritte besser zu begreifen, ist der klassische “Häschenwitz”:
[Einleitung:] Kommt ein Häschen in ein Geschäft und fragt: “Haddu Möhrchen?”, der Verkäufer verneint.
[Exposition:] Das Häschen geht wieder, kommt aber am nächsten Tag wieder und fragt erneut: “Haddu Möhrchen?” , der Verkäufer verneint erneut. So geht das noch weitere vier Tage.
[Complicatio:] Am fünften Tag kommt das Häschen wieder ins Geschäft und fragt: “Haddu Möhrchn?” Der Verkäufer hat extra Möhren besorgt und holt stolz eine Kiste hervor. “Ja”, sagt er, “heute habe ich Möhren.”
[Pointe:] Sagt das Häschen: “Muttu essen, sind gut für die Augen.”
Das Prinzip der vier Schritte kann bei allen lustigen Szenen eine Orientierung für dich sein. Nicht nur beim Häschenwitz.
Einleitung & Exposition: Kurz und knackig
Der Fokus beim Witz liegt auf der Pointe. Deswegen ist es unabdingbar, dass du die Einleitung so kurz wie möglich hältst. Weniger ist hier absolut mehr. Manchmal reichen nur sehr wenige Worte, um das Setting zu klären:
“Kommt ein Häschen ins Geschäft, und fragt: ‘Haddu Möhren?’ ”
“Treffen sich zwei…”
“Es fängt schon kacke an. Es ist Montag. Es nieselt.”
statt:
“Im Folgenden beschreibe ich einen Tag, der nicht so gut läuft. Also nicht nur nicht so gut, sondern richtig schlecht. Zum Beispiel ist Montag, also Anfang der Woche, also man hat die ganze Woche noch vor sich und wenn man zum Beispiel seine Arbeit nicht mag, ist das ja nicht so schön. Außerdem ist auch noch schlechtes Wetter.”
Gleichzeitig funktioniert keine Pointe ohne die richtige Einleitung. Hier entsteht das Bild im Kopf deines Publikums. Sei bei deinen Beschreibungen daher lieber konkreter als zu schwammig.
“Linkes Bein eingeschlafen.”
statt:
“Irgendwie ist alles blöd. Auch der Körper fühlt sich nicht so richtig gut an und so.”
Complicatio: auf der falschen Fährte
In der Complicatio kennt das Publikum dann Setting und Figuren aus der Einleitung. Es wird nun eine eindeutige Interpretation der Situation nahegelegt. Wir bauen eine Erwartungshaltung auf.
Die Complicatio kann etwas umfassender sein oder ebenfalls nur aus wenigen Worten bestehen.
“Der Verkäufer hat extra Möhren besorgt.”
“(Treffen sich zwei)… Jäger.”
“Stell dir mal vor, du nimmst ‘ne richtig schöne Dusche. Und hast auf Anhieb die richtige Temperatur eingestellt.”
Bei der Complicatio ist es wichtig, möglichst starke Vermutungen dazu aufzubauen, was als nächstes passieren wird. Dafür gelten die gleichen stilistischen Regeln wie für alle Texte: Schreib nachvollziehbar, greifbar, plastisch.
Pointe: Erleichterung
Die Pointe ist der Kern eines Witzes und macht Humor aus. Ohne Pointe fehlt – der Punkt. Sie führt die Situation ad absurdum.
Es wird der Doppelsinn der Complicatio enttarnt, die naheliegende Erwartung gebrochen.
Je größer die Fallhöhe, also je abwegiger die Auflösung deiner Geschichte, desto größer das Humorpotenzial. Andererseits bergen absurde Pointen auch die Gefahr, am Publikum vorbei zu zielen. Dann sind sie nicht mehr nachvollziehbar.
“Muttu essen, sind gut für die Augen.”
“Beide tot.”
“Genau 41 Grad. Sodass sich die Haut schon lockert, aber noch nicht pellt.”
Die Pointe kann z.B. in der Offenbarung eines Wortspiels liegen (Doppeldeutung von ‘treffen’), in einer abwegigen Lösung (Häschen ist vehement um die Gesundheit des Verkäufers besorgt ohne es zu vorwegzunehmen), oder in einer Übertreibung (41 Grad sind zu heiß).
Wie wird man lustig?
Wir haben uns jetzt nur den theoretischen Aufbau klassischer Witze angesehen.
Dabei gibt es noch unzählige andere Arten und Weisen, lustig zu sein.
Von der Art und Weise, wie man etwas sagt (Betonung, Stimme) über Timing und Pausensetzung über schauspielerische Einlagen (Acting Out) und alberne Grimassen, die Imitation Prominenter bis hin zum Lachen aus purer Verzweiflung. Humor hat viele Gesichter.
An dieser Stelle einige Fachbegriffe aus der Comedy:
Stand Up: Comedy in Form erzählter Geschichten / Alltagsbeobachtungen auf der Bühne
Oneliner: kleinstmögliche Einheit des Witzes in nur einem Satz / einer Phrase (oft Wortspiele)
Bit: Reihe Geschichten zu einem Thema. Enthält mindestens eine Pointe, oft mehrere.
Set / Programm: Eine Reihe von Bits hintereinander, die an einem Abend präsentiert werden, ggf. mit einem roten Faden.
Mehr findest du in diesem Stand-Up-Lexikon.
Welche Art Humor für dich gut funktioniert, welche Pointen gut ankommen und welche nicht, das wirst du nur durchs Ausprobieren herausfinden.
Große Comedians spielen ihre Sets etliche Male, schreiben die Witze um, schmeißen Bits aus dem Programm, sortieren sie neu.
Wenn du vor hast, einen lustigen Text auf einer Slambühne zu performen, mach dir nach dem Auftritt Notizen. Was hat funktioniert, was nicht? Wo wurde vielleicht unerwartet gelacht?
Humor kann man lernen. In den folgenden Lektionen werden wir genau das versuchen.