Online Poetry Slam Workshop:

Einstieg und Pointe

Lerne, richtig gute erste und letzte Sätze zu schreiben, mit denen du in Erinnerung bleibst.

Beim Poetry Slam hast du nur wenige Minuten auf der Bühne. Schon in wenigen Sekunden macht das Publikum sich einen ersten, entscheidenen Eindruck von dir und deinem Text. Die letzten Worte wiederum können aus einem ersten Eindruck einen bleibenden formen.
Deswegen ist es so wichtig, sich mit dem Anfang und dem Schluss eines Textes besonders intensiv zu beschäftigen.

Anfang und Ende sind das Grundgerüst deines Texts.

Dramaturgie in 3 Schritten

Einmal im Schreibfluss, schreibt sich der Hauptteil deines Textes oft “fast von allein”.
Die wahre Herausforderung liegt also darin, Anfang und Ende zu finden. Denn hier gibst du deiner Kreativität einen Rahmen. Die Einleitung stellt deine Grundidee vor. Der Schluss(-satz) bildet das Fazit. Beide Teile fragen also aus unterschiedlichen Richtungen: Worum geht es in deinem Text überhaupt?

Außerdem beziehen sich Einleitung und Schluss oft aufeinander. Wenn du dir also schon am Anfang Gedanken über beides gemacht hast, werden die Worte dazwischen aus dir herausfließen, ohne sich zu verlieren.

Der Einstieg

Mit einem guten Start in deinen Vortrag – egal ob Poetry Slam oder Vorstandssitzung – hast du oft schon die Hälfte deines Erfolgs sicher. Dabei geht es nicht nur um den Einstieg in deinen Text oder dein Referat selbst, sondern schon um die Zeit davor.

In wenigen Sekunden bildet sich der erste Eindruck.

Bühnenaufgang

Vertrauen zu dir und deinem Text.

erstes Wort

Die volle Aufmerksamkeit.

erster Absatz

Vorbereitung deiner Botschaft.

Der Bühnenaufgang bestimmt, wie das Publikum dich sieht.

Schon bevor du überhaupt mit deinem Vortrag beginnst, hinterlässt du einen Eindruck.
Der Prozess wird soziale Wahrnehmung genannt: Wir stecken andere Menschen blitzschnell in “Schubladen”, entwickeln eine Erwartungshaltung und so weiter.

Bei einem Poetry Slam Auftritt entsteht der erste Eindruck während des Bühnenaufgangs und der Anmoderation. Du bereitest hier dein Publikum auf deinen Text vor, machst das Publikum (hoffentlich) hellhörig und beeinflusst, ob man dir und deinem Text folgt:

Identifikation

Joggst du auf die Bühne oder läufst du langsam? Lächelst du, oder hebst du euphorisch die Arme? In den ersten Sekunden macht das Publikum sich mit dir als Person und deinem Stil vertraut.
Tipp: Egal, wie aufgeregt du bist. Versuch beim Bühnenaufgang zu lächeln. Das bringt dich selbst in eine bessere Stimmung und macht sympathisch.

Einstimmung

Inhalt und Länge der Anmoderation, eventueller Texttitel, aber auch deine Stimme, das Tempo deiner Sprache und wie du dabei mit dem Publikum interagierst, bereiten das Thema deines Texts vor.
Tipp: Die meisten Texte brauchen gar keine besondere Anmoderation. Der einfachste Einstieg in deinen Auftritt ist: “Guten Abend. Mein Text trägt den Titel XY.”

Selbstbewusstsein

Die ersten Sekunden sind auch deine ersten Sekunden und bereiten dich selbst auf deinen Auftritt vor. Nimm dir Zeit, das Mikro richtig einzustellen. Achte auf eine aufrechte Haltung. Atme nochmal tief durch.
Das kannst du weiter üben im zubuchbaren Live-Workshop Performance.
Tipp: Wenn du noch nicht absolut sicher auf der Bühne bist, solltest du nicht nur deinen Text, sondern auch die Anmoderation üben und ggf. auswendig lernen.

Der erste Satz ist der Grundstein deines Texts.

Über den “perfekten ersten Satz” haben sich wohl so einige Leute schon den Kopf zerbrochen.
Einerseits ist das sicherlich richtig. Im ersten Satz bestimmst du, ob und mit welcher Einstellung deine Zuhörerinnen und Leser dem Weiteren folgen.
Andererseits gibt es auch keinen Grund, an den ersten paar Worten zu verzweifeln. Ein guter Text kann einen nicht so guten ersten Satz überleben. Aber der beste erste Satz bringt nichts, wenn danach nichts von Substanz mehr folgt.

„Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheueren Ungeziefer verwandelt.“

Franz Kafka: “Die Verwandlung”, 1912

Dieser berühmte erste Satz erhielt 2007 den zweiten Platz in einem Wettbewerb der schönsten ersten Sätze. Vielleicht kommt er dir aus deiner Schulzeit bekannt vor, und du musstest ihn sogar schon einmal analysieren.
Betrachte ihn jetzt noch einmal, rufe dir vielleicht andere gute erste Sätze ins Gedächtnis und überlege, was für dich einen guten ersten Satz ausmacht.

Information

Der erste Satz leitet in deinen Text: Wer, wo, wann, warum findet hier was statt?
Kafka hat in seinem ersten Satz sowohl die Hauptfigur vorgestellt, ein Setting erschaffen, die Hauptidee der Geschichte erklärt und auch eine Einstimmung in die Gefühlssituation gegeben.
Je mehr Informationen dein Publikum gleich zu Beginn erhält, desto besser können sie deinem weiteren Text folgen. Andererseits ist die bloße Aufzählung von Fakten nicht besonders aufregend. Hier gilt es also gut zu dosieren.
Tipp: Oft lösen bestimmte Schlagwörter Assoziationen beim Publikum aus und bauen so ein Bild im Kopf. Ein Beispiel aus der letzten Lektion ist der Satz “9:30. Konferenzraum. Vor mir vierzehn graue Männer in grauen Anzügen.”

Stilistik

Der erste Satz gibt (meistens) auch die allgemeine Stimmung des weiteren Textes vor.
Steigst du mit einer besonders kunstvollen Wortneuschöpfung oder einem sehr klugen und komplexen Reim ein, freut das Publikum sich auf Spiel mit Sprache und ergreifende Lyrik.
Möchtest du eher eine satirische Kurzgeschichte schreiben, dann sollte in deinem ersten Satz schon ein guter Witz stecken.
Mehr dazu in den Modulen Stilistik und Humor.

Spannung

Der erste Satz soll Lust auf mehr machen.
Spannung erzeugen z.B. Fragen wie “Was ist eigentlich mit Gregor Samsa los?”.
Du kannst auch mitten in der Handlung einsteigen – in medias res. Dabei entstehen die Fragen ganz automatisch im Kopf des Publikums: Warum wacht jemand als Ungeheuer auf? Was ist vorher passiert? Wie bitte?
Der erste Satz kann aber auch besonders leise und langsam geschrieben sein, z.B. als Beschreibung einer Szenerie. Dann solltest du allerdings im zweiten Satz und danach die Spannung stetig steigern und handelnde Figuren einführen.
Tipp: Alles, was das Publikum überrascht, erzeugt Spannung. Auch ein Auftritt ohne jegliche Begrüßung, der mit einer langen, aussagekräftigen Geste beginnt, wird dir die Aufmerksamkeit des Publikums sichern.

Mach dich nicht verrückt.

Diese ganzen Gedanken zum perfekten ersten Satz sollen dir beim Schreiben aber nicht im Weg stehen. Bevor du verzweifelt vor dem weißen Blatt sitzt und nicht weißt, wie du beginnen sollst: Denk an das erste Modul. Fang einfach an zu schreiben. Später kannst du immer noch zum ersten Satz zurückkehren und ihn überarbeiten.

Übrigens: Wenn dir mal wirklich kein guter Einstieg für deinen Text einfallen sollte, kannst du ihn auch einfach stehlen. Nimm dir ein berühmtes Zitat zum Thema, eine passende Songzeile oder den ersten Satz eines Buchs, das dir gut gefallen hat. Von dort kannst du weiterschreiben. Der Einstieg mit einem bekannten Zitat kann Identifikation zwischen dir und dem Publikum herstellen, wenn sie es wiedererkennen.

Jesko Habert Poetry Slam
mit großen Gesten einsteigen: Jesko Habert, Poetry Slammer

Die Pointe

Seien wir ehrlich: Selbst das aufmerksamste Publikum kann sich bei einem Poetry Slam mit durchschnittlich zehn Texten pro Abend unmöglich jedes einzelne Wort merken, das auf der Bühne gesprochen wird. Umso wichtiger ist es, deinen Text mit einem Ende abzuschließen, das in den Köpfen verankert bleibt.

Mit deinen letzten Sätzen bleibst du in Erinnerung.

Höhepunkt

Dein Thema auf die Spitze getrieben.

letzter Absatz

Ziel und Fazit
des Texts.

letzte Worte

Deine Botschaft und Kernaussage.

Der Schluss bestimmt das Ziel deines Texts.

Das Wort “Pointe” kennen wir vor allem aus dem Humor: Sie macht den Witz zum Witz.
Aber es steckt auch der “Punkt” darin. Der Sinn deines Texts. Die Aufgabe. Die Botschaft. Wenn du zu Beginn des Schreibprozesses schon weißt, wohin du ungefähr willst, wird es dir leichter fallen, einen Text mit einem stringenten Spannungsbogen zu schreiben, der dein Publikum mitreißt.

Mit den letzten Worten “entlässt” du dein Publikum aus deinem Text. Sie können der größte Lacher in einem lustigen Text sein, oder die ganze Stimmung plötzlich ins Dramatische drehen. Es kann einen Plottwist geben, ein Geheimnis kann aufgedeckt werden, das Publikum kann noch einmal direkt angesprochen werden. So oder so haben die letzten Worte eine große Macht und viele Aufgaben:

Stimmung

Der letzte Satz wird maßgeblich beeinflussen, in welcher Stimmung du dein Publikum zurücklässt. Nach einem traurigen Text kann ein hoffnungsvoller Silberstreif am Horizont kommen. Einem lustigen Text folgt vielleicht ein ernstgemeinter Appell ans Publikum.
Tipp: Nimm dir in deinen ersten Texten nicht zu viel vor und versuche innerhalb desselben Textes bei einer Stimmung zu bleiben und sie im Schlusssatz noch einmal abzurunden.

Botschaft

Was auch immer du mit deinem Text aussagen wolltest: In deinen letzten Worten sollte es noch einmal deutlich werden.
Im Zweifel wird beim Publikum vor allem dein letzter Satz hängen bleiben.
Tipp: Eine klare Botschaft in Du-Perspektive kann einen Text am Ende noch einmal sehr ergreifend fürs Publikum machen.

Identifikation

Häufig beziehen sich die letzten Worte auf die Einleitung des Texts oder auf etwas, was zuvor passiert ist. Das Publikum kann das wiedererkennen und versteht “Ah, darüber weiß ich jetzt mehr als vorher.”
Blickkontakt mit dem Publikum während deiner letzten Worte stellt noch einmal besonders viel Nähe her.
Tipp: Manchmal hilft es auch, dir deinen eigenen Schreibprozess am Ende noch einmal anzusehen. Du hattest wahrscheinlich mit den gleichen Gefühlen und Fragen zu tun wie dein Publikum.

Was meinst du?

Was ist wichtiger? Der perfekte Einstieg oder der perfekte Schluss eines Texts? Welche anderen Techniken und Merkmale guter Anfangs- und Schlusssätze fallen dir vielleicht noch ein? Findest du in deinen Lieblingsbüchern oder in Slamvideos besonders gelungene erste und letzte Worte?

In der Fingerübung zu dieser Lektion wirst du erste und letzte Sätze aus Texten von Jesko Habert bekommen, um dazwischen eine Geschichte entstehen zu lassen.
Du kannst diese Übung auch später einmal selbständig machen, wenn du Inspiration für einen neuen Text brauchst. Durchsuche Zeitungsartikel, Romane oder auch alte Texte und Tagebucheinträge von dir selbst nach Sätzen, die dir gut gefallen. (Es müssen keine ersten Sätze sein!) Nimm die als neue erste Sätze für einen eigenen Text.


Teste dein Verständnis der Lektionsinhalte und lass eine Geschichte zwischen geliehenen ersten und letzten Sätzen entstehen.