Was machen Slam-Master*innen eigentlich?

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Slam-Master*innen, kurz auch MC (für “Master of Ceremony”)*, sind ein merkwürdiger Hybrid. Im besten Fall sind sie das Herz und die Seele eines Poetry Slams, sorgen für Nachwuchs und halten die Szene am Leben. Im schlechtesten Fall ist es einfach irgendein Mensch, der/die denkt, man brauche ja nur eine Bühne bereitzustellen und der Rest passiere von allein. Aus dem Publikum, aber auch aus dem Backstage ist gar nicht immer so offensichtlich, was MCs eigentlich alles ausmacht – und woran man einen guten Host erkennt.

*über das Gendern der Bezeichnung “Master” herrscht Uneinigkeit. Man könnte “Mistress” nehmen, wenn man es als Anrede sieht. Man könnte es eindeutschen und Master*in nennen. Sieht man es als Qualifikationsbezeichnung wie beim Universitäts-Master, dann kommt es letztlich vom englischen (gender-neutralen) mastern und würde keine spezielle Geschlechtsanpassung benötigen. Auf Wunsch mehrerer MCs wird hier letztlich die Sternchen-Variante genommen.

Moderation

Die sichtbarste Funktion der Slam-Master*in ist die Moderation des Poetry Slams. Sie leiten durch den Abend, stellen die Künstler*innen vor, leiten die Abstimmung und küren die Gewinner*innen. Die Herausforderung dabei: Man muss Neutralität, Begeisterung und eigenen Stil miteinander verbinden.

Neutralität ist wichtig für die Abstimmung – zwar geht es bei den meisten Poetry Slams nicht um teure Gewinne, trotzdem möchte niemand von einem voreingenommenen MC an- oder abmoderiert werden. Auch wenn einem persönlich der Text nicht sonderlich zusagt, muss man als Host seine Meinung zurückhalten und dem Publikum ermöglichen, seine eigene Meinung auszudrücken. Eine Ausnahme sind hetzerische oder verfassungsfeindliche Texte – aufgrund eines kürzlichen Eklats mit einem rechtsradikalen Text bei einem Slam in Speyer im Herbst 2018 wurde das auch schon ausgiebig diskutiert. Gute MCs drehen da nicht einfach das Mikro ab, sondern nehmen die menschenfeindlichen Texte argumentativ und ehrlich auseinander – disqualifizieren kann man die Teilnehmenden natürlich in extremen Fällen auch. (Auch das ist natürlich eine Qualifikation der Moderation, bei anderen Regelverstößen angemessen zu handeln).

Bei aller Neutralität darf natürlich die Begeisterung nicht auf der Strecke bleiben. Gute Hosts bringen das Publikum dazu, die Künstler*innen mit tosendem Applaus zu begrüßen, bei der Wertung sowohl lustige als auch ernste Texte angemessen zu honorieren und allgemein einen guten Abend haben. Das kann bei einem Line-Up leicht sein, beim anderen schwer. Und ein älteres Publikum auf dem Land ist vielleicht anders drauf als ein junges Hipsterpublikum.

Ein eigener Stil macht oft viel des Slam-Charakters aus. Viele Veranstaltungen leben stark vom Charme der Moderator*innen – besonders weil man als Zuschauer*in die Poet*innen ja oft noch nicht kennt.

Abendleitung

Bei Slam-Meisterschaften und größeren Events werden die Rollen gerne an unterschiedliche Leute verteilt, die meisten regelmäßigen Slams verbinden Moderation und Abendleitung jedoch in Personalunion. Slam-Master*innen sind oft schon lange vor Einlass vor Ort, unterstützen (oder stemmen) den Aufbau und koordinieren Technik, Kasse und Bar. Wenn die Slammer*innen eintreffen, betreuen sie sie, zeigen ihnen den Backstage, erklären Neulingen die Regeln und nehmen ihnen die Bühnenscheu. Hier kommt eine große “unsichtbare” Bedeutung der Slam-Master*in zum Spektrum: Atmosphäre schaffen.

Wenn die Künstler*innen sich bei einer Veranstaltung wohlfühlen, performen sie besser. Das heißt: Das Publikum hat einen besseren Abend und kommt wieder. Das heißt auch: Die Slammer*innen kommen wieder und bleiben generell der Slam-Szene länger erhalten. Das Spektrum kann man in drei beispielhafte Kategorien einteilen – neutral, schlecht und gut:

  1. Die Auftretenden sitzen stumm im Backstage und gucken auf ihre Handys. Nach dem Auftritt sagt mal jemand “schöner Text” zum anderen, dann holt man sich ein neues Bier
  2. Eine “Elite” setzt sich von den anderen ab und guckt auf die Neulinge herab bzw. lässt sie sonstwie merken, dass sie nicht “dazugehören”. Junge Poetinnen müssen sich vielleicht unangemessene Kommentare anhören und eigentlich sind alle froh wenn es vorbei ist.
  3. Man unterhält sich ein bisschen, aber wenn man seine Ruhe haben will bekommt man die auch. Nachher bleiben noch alle und trinken ein Bier zusammen, man albert ein bisschen rum und wenn es erfragt wird gibt man ehrliches Text-Feedback.

Natürlich gibt es viel dazwischen – aber prinzipiell tauchen alle drei Typen von Veranstaltungen durchaus auf. Der Clue ist: Jeder Fall kann sowohl im Kneipen-Vorratskammer-Backstage als auch hinter der Theaterbühne auftreten. Und es ist manchmal sogar ein bisschen nebensächlich, welche Poet*innen dabei sind – am meisten trägt die Atmosphäre dazu bei, zu entscheiden ob 1, 2 oder 3.

Gute MCs haben das manchmal gar unbewusst im Griff. Durch die Lineup-Planung und die Abend-Betreuung, durch das eigene Handeln und die Thematisierung unangemessener fremder Handlungen haben MCs es in der Hand, eine gute oder schlechte Atmosphäre zu erzeugen.

Organisation & Booking

Die Großzahl von Veranstaltenden sind schon Wochen (teils Monate) vor dem Slam mit der Organisation beschäftigt. Die meisten Poetry Slam-Lineups bestehen in der Regel nicht (wie szenefremde Veranstalter*innen manchmal denken) ausschließlich aus Spontan-Anmeldungen wie bei einer Offenen Bühne. MCs fragen selbst aktiv Poetry Slammer*innen an und verwalten initiative Anfragen von Poet*innen, um ein rundes Line-Up zusammenzustellen. Auch hier geht der Aufwand auseinander: Manche füllen einfach acht Plätze mit Initiativ-Anfragen auf. Andere kuratieren die Auswahl nach komplexen Systemen, um Geschlechterdiversität, unterschiedliche künstlerische Stile und Erfahrungsgrade zu berücksichtigen. Zum Beispiel um eine angenehme Backstage-Atmosphäre zu schaffen. Aber auch, um eine gute Show zu garantieren – zum Beispiel durch eine ausgeglichene Mischung aus Profis und Neulingen.

Neben dem Line-Up organisieren Slam-Master*innen auch viele weitere Aspekte: Absprachen mit den Locations, Werbung, Social Media, Abrechnung und Kassenverwaltung, Fördermittel-Akquise… je kleiner der Slam, desto mehr Aufgaben liegen in der gleichen Hand. Beim BBSlam, der Berlin-Brandenburger Meisterschaften, steht eine ganze Gruppe von Leuten dahinter, wo sich einer um Werbung, andere um Abendleitung und wieder andere um Finanzen kümmern können. Ein Kneipen-Slam hat diese Kapazitäten meist nicht. Deshalb: Habt Respekt vor euren (gut arbeitenden) MCs auch bei kleinsten Slams. Die meiste Arbeit die sie leisten, sieht man nicht.

Nachwuchsarbeit

Poetry Slam ist ein junges Format, das sich ständig durch Neulinge selbst erneuert. Aber das passiert nicht von selbst: Slam-Master*innen tragen passiv oder aktiv viel dazu bei. Passiv, indem sie ihre Bühnen offen halten. Wer nur Best-Of Slams veranstaltet, der lebt von der Nachwuchs-Arbeit anderer. Viele junge Poet*innen kommen von selbst zu Slams, wenn man ihnen nur die Möglichkeit gibt. Wenn sie einmal da sind, entscheidet sich jedoch schnell, ob sie der Szene erhalten bleiben oder nicht: An der Atmosphäre. Local- und U20-Slams sind dafür oft besonders gut – aber auch nicht automatisch. Und: Viele Poet*innen sind am Anfang, ehrlich gesagt, nicht sonderlich gut. Trotzdem sollte man ihnen auch einen zweiten und dritten Auftritt ermöglichen – wie sollen sie sich sonst verbessern?

Aktive Nachwuchsarbeit geht noch darüber hinaus: Viele MCs veranstalten Workshops und Schreibwerkstätten um jungen Schreibenden Motivation und Feedback zu geben. Das ist wichtig für das eigene Überleben des Slams.

Netzwerken

Viele Slam-Master*innen kooperieren miteinander, statt gegeneinander zu arbeiten. Deutschlandweit und regional gibt es regelmäßig Slam-Master-Meetings, bei denen sie sich treffen und szene-relevante Aspekte besprechen, sich gegenseitig Poetry Slammer*innen empfehlen oder über Termine absprechen. Zweifellos gab es auch schon Beef zwischen verschiedenen Slam-Mastern und Masterinnen – besonders, wenn solche Absprachen nicht funktioniert haben. Besonders, wenn man neu anfängt, sollte man daher einige Dinge beachten.

MCs sorgen damit auch generell für einen Zusammenhalt der Szene. Auf ihren Veranstaltungen lernen sich Slammer*innen untereinander kennen, oder treffen wieder andere Veranstalter*innen aus anderen Regionen. Sie initiieren neue Konzepte für Kulturbühnen und fungieren als Herausgeber von Anthologien, die vielen Poet*innen erste literarische Veröffentlichungen ermöglichen.

Und, nicht zuletzt, richten sie in Kooperation miteinander Stadt- und Landesmeisterschaften sowie die deutschsprachigen Meisterschaften aus. Das sind nicht nur kulturelle Höhepunkte der jeweiligen Szene, sondern gleichzeitig Netzwerker-“Klassentreffen”, Visitenkarte nach außen und Sprungbrett für viele Künstler*innen.

Auftreten

Eine Besonderheit von vielem Slam-Master*innen ist, dass sie gleichzeitig Slammer*innen sind und noch regelmäßig auftreten – ob als Feature oder im regulären Wettbewerb. Das hat zwei wichtige Gründe: 1) Sie behalten weiterhin die Perspektive der Auftretenden und übernehmen gute Ideen von anderen Slams für ihre eigenen Shows. 2) Es erleichtert die Line-Up Planung. Wenn man selbst öfters neben anderen, auch noch unbekannten Poet*innen auftritt, hat man gleich die nächsten Kontakte fürs eigene Line-Up. So bleibt die Mischung frisch und man verhindert, dass immer die gleichen Nasen bei den eigenen Slams auftauchen.

Verdient man als Slam-Master*in Geld?

Hier gibt es keine pauschale Antwort. Manche kleine, lokale Slams basieren zum Großteil auf ehrenamtlicher Arbeit – manche MCs zahlen letztlich sogar selbst noch drauf. Am anderen Ende gibt es natürlich auch Groß-Events oder gebuchte Auftrags-Slams, bei denen Veranstaltende durchaus angemessen verdienen. Viel spielt sich irgendwo dazwischen ab: Zum Beispiel, wenn es eine Moderations-Gage gibt, die ganze andere Arbeit von Line-Up Planung über Werbung bis zur Abendleitung aber unbezahlt bleibt. Oder wenn Meisterschaften ihren Organisator*innen eine pauschale Aufwandsentschädigung zahlen.

Deshalb ist es auch eine relevante Frage, ob ein Slam “aus der Szene” organisiert wird oder für einen Auftraggeber. Als Slam-Master*innen arbeiten wir gerne ehrenamtlich oder teil-ehrenamtlich für das eine oder andere Event, wenn wir mit unseren eigenen “Babys”, den Slams die wir selbst etabliert oder sie übernommen haben, die Szene stärken. Aber das heißt nicht, dass wir die gleiche Arbeit umsonst machen, wenn man uns für ein eigenes Event beauftragt: dieser große Arbeitsaufwand hat natürlich seinen gerechtfertigten Preis.

Wie werde ich Slam-Master*in?

Es gibt zwei Wege: Gründen oder Hineinwachsen. Viele MCs haben angefangen, indem sie feststellten, dass es in ihrer Stadt noch keinen Slam gab. Also haben sie einfach angefangen – mal mehr und mal weniger erfolgreich. Mit der Zeit haben sie sich all diese Funktionen angeeignet, zusätzliche Veranstaltungen gegründet und sich in der Szene etabliert.

Gerade in jüngerer Zeit gibt es jedoch immer weniger Städte, in denen es nicht bereits Slams gibt. Stattdessen wächst der Nachwuchs auch in die Rolle des MCing hinein. Bei einem bestehenden Slam fangen sie zum Beispiel an der Kasse an, sind regelmäßig da und helfen den Veranstaltenden. Irgendwann trauen sie sich in eine Co-Moderation, und dann wird der/die Haupt-Veranstalter*in plötzlich einmal krank und der Nachwuchs springt ein. Irgendwann wird dann das Szepter übergeben, wenn der/die alte MC keine Lust mehr hat.

Die meisten Slam-Master*innen haben selbst als Poet*innen angefangen, und oft bleiben sie auch weiter in der Rolle. Von außerhalb der Szene anzukommen und jetzt einen Slam starten zu wollen geht häufig schief: Schlicht, weil einem die Kontakte zur Line-Up Planung fehlen und weil die Kooperation mit anderen MCs schwieriger aufzubauen ist. Oder weil die Perspektive aus Sicht der Auftretenden fehlt.

Wenn du nach all dem trotzdem denkst “Yeah, ich will das unbedingt machen!” – dann go for it! Aber pass auf, dass du nicht die üblichen Anfänger-Fehler beim Veranstalten machst 🙂


Die Kiezpoeten bestehen aus mehreren Slam-Mastern, die teils mit weiteren Co-Moderator*innen und Co-Hosts zusammenarbeiten.